In der ersten Jahreshälfte 2017 provozierte ein Kommentar auf der Website bo-alternativ.de eine Debatte über die Frage, ob in Bochum Gentrifizierungsprozesse stattfinden. Der Kommentator warf der bescheidenen Alternativkultur, die in den letzten Jahren an der Herner Straße entstanden ist, vor, Lokale wie die »Trinkhalle«, der »Kugelpudel« oder der »Café Eden e.V.«, würden durch Aufwertungen Mietsteigerungen und Verdrängungen im »Kortländer-Kiez« auslösen. Die Debatte war lebhaft und stellte fest: Eine klassische Gentrifizierung findet an der Herner Straße nicht statt. Nicht zuletzt die wissenschaftliche Studie einer Studentin der Ruhr Universität widerlegte den Vorwurf.
Dennoch ist auch im Ruhrgebiet der Wohnungsmarkt in Bewegung geraten. Die Mieten beginnen in einigen Städten und Stadtteilen zu steigen. Tatsächlich findet Aufwertung und Segregation statt – wenn auch lokal sehr unterschiedlich. Aber ist der Begriff Gentrifizierung geeignet, diese Prozesse zu beschreiben?
In unserem Text »Realize Ruhrgebiet« schrieben wir 2014 noch: „Anders als in Hamburg, Berlin oder München gibt es im Ruhrgebiet keinen überhitzten Wohnungs- oder Immobilienmarkt. Gentrifizierung ist kein Thema, mit dem man sich hier beschäftigen muss.“ Im Vordergrund stand vielmehr die Forderung, Leerstände als selbstbestimmte Freiräume nutzbar zu machen, auch um Stadtteile wieder zu beleben, sowie die Perspektive auf solidarische nachbarschaftliche Netzwerke.
Und tatsächlich hat sich in diese Richtung einiges bewegt. Das zeigt nicht nur der Film »Das Gegenteil von Grau«. In einigen Stadtteilen tauchen Initiativen auf, die Straßen bespielen, solidarische Nachbarschaft ausprobieren oder neue Alternativkneipen eröffnen. Das hat es vor einigen Jahren in dieser Form noch nicht gegeben. Doch lösen diese Belebungen automatisch Verdrängungsprozesse aus? Sind Kreative und Subkulturen dabei das Problem oder die Lösung? Wie könnten sich Anwohner*innen wehren?
Der Wohnungsmarkt
Mein Beitrag zu diesen Fragen startet mit einem Erklärungsversuch: Wie kommt es eigentlich zu Gentrifizierungsprozessen und was hat das Ganze mit der Entwicklung der Stadt und der Wohnungsmärkte zu tun?
Der New Yorker Autor Peter Moskowitz formuliert in seinem Buch »How to kill a city – Gentrification, Inequality and the fight for the Neighborhood«:
„Wer über Gentrifizierung nur aus Zeitungsartikeln erfährt, muss meinen, dass Gentrifizierung das Zusammenkommen von hunderten oder tausenden Menschen ist, deren gemeinsame Wille es ist, Cafés und kleine Boutiquen zu eröffnen, sich die Bärte wachsen zu lassen und Schallplatten zu kaufen. Aber das sind nur die Zeichen der Gentrifzierung, nicht deren Ursache“.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis sehe ich das leichtfertige Benutzen des Begriffs Gentrifizierung inzwischen eher kritisch. Es ist zwar ein starker Begriff, der das vielfache Verdrängen von Menschen aus den Innenstädten der Metropolen gut beschreibt, zugleich aber auch als gemeinsames Problem etwas Verbindendes herstellt und damit Anlässe schafft, um sich gemeinsam zu wehren. Gentrifizierung ist als Kampfbegriff für „alles Böse“ jedoch nicht geeignet, die komplexe Wirklichkeit der Entwicklung von Städten und besonders Wohnungsmärkten zu beschreiben, als deren Folge dann auch Gentrifizierung entstehen kann.
Darum möchte ich versuchen zu beschreiben, wie Wohnungsmärkte momentan funktionieren – konkreter die Mietwohnungsmärkte, denn Mieter*innen sind weitaus in der Mehrheit, nicht nur in Bochum.
Der Mietenwahnsinn nimmt seinen Lauf
Grundsätzlich sind Mieter*innen in Deutschland in Zeiten eines entspannten Marktes im Vergleich zu vielen anderen Ländern relativ gut geschützt (z.B. durch Mietenbegrenzung, Mietminderung, Kündigungsschutz). Dass inzwischen in vielen Großstädten mit angespannten Markt die Lage so krass ist, hat mit einer neoliberalen Wende in der Wohnungspolitik seit 1990 zu tun.
Bis dahin gab es viele gemeinnützige Unternehmen, die ihre Wohnungen in einem stark regulierten und geschützten Marktsegment anboten. Grundlage dafür war die sogenannte Wohnungsgemeinnützigkeit. Kommunale, landeseigene und auch werksnahe Unternehmen sahen es als ihre Aufgabe an, massenhaft preiswerte Wohnungen anzubieten. Der Staat befreite sie von Steuern, verpflichtete sie zur Reinvestition der Gewinne und zur Begrenzung der Mieten. Dieser Wohnungssektor ist nach der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit schrittweise zusammengebrochen. Die mit staatlichen Zuschüssen errichteten Wohnungen wurden verscherbelt, z.B. an die Vonovia. Gleichzeitig veränderten sich die Geschäftspolitiken der öffentlichen kommunalen Unternehmen, z.B. der halbstädtischen Bochumer VBW. Unternehmen suchten nach Gewinnmöglichkeiten, weil Kommunen oder Kapitalgeber es erwarteten. Also wurden Mietpreise angehoben oder die Instandhaltung reduziert.
Die Zahl öffentlich geförderter und damit preiswerter Wohnungen sank in Bochum von 30.000 im Jahr 2003 auf inzwischen nur noch 14.000 – mit weiter sinkender Tendenz. Sozialwohnungen fallen aus der Preis- und Belegungsbindung. Gleichzeitig werden keine neuen bezahlbaren Wohnungen geschaffen, denn Sozialwohnungen passen nicht ins Geschäftsmodell der renditeorientierten Unternehmen.
Aufgrund steigender Zuzüge ist in fast allen großen Städten ein enger Markt entstanden, ohne dass es nennenswerten Neubau gibt. Diese Enge ist für gewinnorientierte Unternehmen durchaus nicht von Nachteil, lassen sich Mietpreise in Zeiten der Wohnungsnot doch in astronomische Höhen steigern. Auch wenn im Ruhrgebiet von einer Wohnungsnot nicht gesprochen werden kann, ziehen auch hier die Mieten an.
Wenige Sozialwohnungen und geringer Leerstand bilden also die Grundlage für einen sich radikal verändernden Wohnungsmarkt. Unternehmen können Riesengewinne produzieren, wenn sie es richtig angehen. Da der Mietspiegel auf engen Märkten wie ein Motor für Preissteigerungen wirkt, bildet auch er keine Bremse mehr, sondern die steigenden Durchschnittsmieten befeuern mit jeder Anpassung das Preisniveau des Mietspiegels.
Vermieter*innen können leicht durch Modernisierungen Mieten erhöhen, weil Mieter*innen diese nur schwer abwehren können und elf Prozent der Investitionssumme auf die Mieten aufgeschlagen werden können. Das ist in Berlin z.B. der Verdrängungsfaktor Nummer eins. Vor allem aber profitieren Unternehmen und Vermieter*innen in engen Märkten von jeder Neuvermietung, deren Preis viel höher liegt als der vorherige. Wenn es schwer ist, eine Wohnung zu finden, sind Mieter*innen bereit höhere Mieten auch oberhalb des Mietspiegels zu zahlen. Bei gewinnorientierten Vermieter*innen steigt so auch das Interesse nicht solvente Mieter*innen loszuwerden. Da sind der „Kreativität“ wenig Grenzen gesetzt: Mieterhöhungen, Instandhaltungstau, ewige Baustellen, Psychoterror. Die weitaus „effektivste“ Methode aber ist die erwähnte Modernisierung.
Gentrifizierung oder was?
Hier sind wir an dem Punkt, an dem Verdrängungsprozesse einsetzen. Einkommensschwache Mieter können sich die Wohnung nicht mehr leisten, zahlungskräftigere Mieter ziehen bei Wohnungswechsel ein. Dabei ist für Vermieter*innen die Qualität des Wohnumfeldes ein zusätzliches Kriterium für die Preisgestaltung: Gibt es Parks, Einkaufsmöglichkeiten, einen guten ÖPNV oder eben auch nette Cafés?
Das heißt, die Aufwertungsphasen der Gentrifizierung, in der den Kreativen ihre spezifische Funktion als „Pioniere“ unterstellt wird, braucht es häufig gar nicht. Auf einem engen Markt sind Menschen gezwungen, die Wohnung zu nehmen, die sie bekommen können. Besser verdienende Mieter*innen sind dann bereit, auch mehr zu zahlen, weil sie es sich leisten können.
Was tun?
Wenn alle Menschen in schönen Vierteln und guten Wohnungen leben sollen – eine Grundforderung jeder Recht-auf-Stadt-Initiative – dann ist die gesellschaftliche Aufgaben für Bewohner*innen und Kommunen, nach Lösungen zu suchen, die gutes Wohnen ermöglichen und Verdrängungsprozesse verhindern. Was also tun?
Einige sind der Meinung, eine gute Methode, Gentrifizierung zu verhindern, sei es, Stadtteile unattraktiv zu halten, Häuser nicht zu renovieren, die Straßen zu vermüllen und billigen Einzelhandel zu erhalten. Die Konservierung und Romantisierung von Armut, so bunt sie auch erscheinen mag, ist keine Lösung. Auch ärmere Menschen haben das Recht auf gute Wohnungen und ein lebenswertes Umfeld.
Allein machen sie dich ein
Besser wäre es, gegen Mieterhöhungen und Verdrängung kollektiv zu agieren, also sich als Anwohner*innen zusammenzuschließen, sich gegenseitig über Mieterhöhungen zu informieren und gemeinsam dagegen zu wehren. Doch nur wenn die Informationen zirkulieren und bereits ein soziales Netzwerk vorhanden ist, lässt sich kollektiv handeln, um sich gegen Verdrängungsprozesse zu wehren: Nachbarschaftstreffen organisieren, Flyer verteilen, Kundgebungen machen, Demonstrieren, Vermieter*innen und Wohnungsunternehmen nerven, „Fette-Mieten-Parties“ organisieren. Solche kollektiven Widerstandsformen sind seit einigen Jahren im Hamburger Stadtteil St. Pauli und in einigen Bezirken von Berlin zu beobachten.
Auch wenn die Wirksamkeit begrenzt sein mag, bleibt festzustellen: Nur wenn Nachbar*innen laut werden und es massiv Druck von unten gibt, können überhaupt Veränderungen auf politischer Ebene erreicht werden.
Wohnungspolitische Forderungen erheben
Ganz wichtig ist meiner Meinung nach aber, zu realisieren, dass es den einen Mietwohnungsmarkt nicht gibt. Der neue Wohnungsmarktbericht der Stadt Bochum sagt, es gäbe zu wenige preiswerte Wohnungen für Menschen, die wenig verdienen oder Transferleistungen erhalten. Das ist deswegen besonders wichtig, weil es im Ruhrgebiet viel mehr arme Menschen gibt als in anderen Regionen. Das heißt, dass preiswerte Wohnungen gesichert und Neue gebaut werden müssen!
Der beste Schutz gegen Verdrängung und Mietsteigerung ist eine ausreichende Menge an preiswerten Wohnungen – und zwar in jedem Viertel. Preiswerte Wohnungen werden aber nur von nicht rein marktwirtschaftlich orientierten Wohnungsunternehmen oder Vermieter*innen angeboten. Sei es durch Stiftungen, Genossenschaften und gemeinschaftliche Wohnprojekte wie z.B. das Mietshäusersyndikat oder von kommunalen Unternehmen, die durch die Politik zu bezahlbaren Mieten verpflichtet werden.
Hilfreich für eine solche Entwicklung wäre die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit. Gut wäre auch ein erweiterter Mieterschutz wie z.B. die Abschaffung des Modernisierungsparagrafen.
Gentrifizierung, ja oder nein?
Bleibt die Frage zu klären: Gibt es Gentrifizierung im Ruhrgebiet? Anzeichen dafür gibt es auf jeden Fall – auch in Bochum. Aufmerksam sollten wir auf jeden Fall sein. Ich befürchte, dass sich im Ruhrgebiet Mietsteigerungen und Verdrängungen verstärken werden, weil der Markt enger wird und die Politik mit der Suche nach neuen renditeorientierten Investoren solche Prozesse fördert.
Bochum und andere Städte im Ruhrgebiet können mehr lebendige Stadtviertel gebrauchen. Fatalismus à la „Woanders is‘ auch scheiße“ hilft uns nicht weiter. Lebendige Viertel sind die Orte, an denen die Netzwerke am stärksten wirken. Diese Netzwerke sind herausgefordert, die neue Lebendigkeit nicht auf akademische und kreative Milieus zu beschränken. Belebung ist wichtig und gleichzeitig die Voraussetzung für ein gemeinsames Wehren gegen Verdrängung – mit dem Ziel: Alle Nachbar*innen sollen bleiben!
BILD: DORSTENER STR. ECKE KORTLÄNDER, BOCHUM, SEPTEMBER 2017 (RNRM)