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Wir sind hier, weil wir stören!

Am 07. September 2019 fand unter dem Motto »Träume unter Asphalt – Stadt selber machen!« die Tanzdemo zum Dortmunder Hafen statt. Rund 200 Teilnehmer*innen und drei Wagen mit Soundsystems folgten dem Aufruf. Wir dokumentieren hier den Redebeitrag der Dortmunder Hafeninitiative – dem Gastgeber der Demo.

Hallo Nordstadt, hallo Dortmund, hallo Ruhrgebiet!

Ich spreche für die Gastgeberin der heutigen Demo, für die Hafeninitiative. Wir alle sind heute hier, weil wir stören! Wir stören, wenn wir endlich auf die Straße gehen, damit unsere Anliegen gehört werden! Wir stören, wenn wir die Städte bunt malen. Wir stören, wenn wir mehr sein wollen als Accessoires vor den Kulissen der Investor*innen und ihrer Planer*innen!

Wie kann es sein, das schon der Wunsch nach Beteiligung als störend empfunden wird? Vielleicht ist Ulrich Sierau nicht daran gewöhnt, dass außer ihm noch andere die Stadt als Zuhause, Dortmund als ihre Stadt sehen. Vielleicht ist Uwe Büscher der Titel Geschäftsführer zu Kopf gestiegen und er denkt von der Stadt als seinem Unternehmen – wer weiß?

Was wir wissen ist, dass im Winter letzten Jahres plötzlich fertige Pläne für den Dortmunder Hafen in der Zeitung zu sehen waren. Was wir wissen ist, dass niemand auch nur nach der Meinung zu den Plänen gefragt wurde. Was die meisten Anwohnerinnen und Anwohner nicht wissen ist, was überhaupt passieren wird.

Die Stadt Dortmund plant, den östlichen Teil des Dortmunder Hafens umfangreich umzugestalten. Ein großer Teil der Gebäude im Hafen wird abgerissen, damit die Flächen anschließend vermarktet werden können. Den Planenden schwebt eine dichte Bebauung mit Bürokomplexen und teurer und langweiliger Systemgastronomie im Erdgeschoss vor. Wenn man eine Vorstellung davon bekommen will, wie der Hafen aussehen soll wenn er fertig ist, kann man mal nach Düsseldorf in den Medienhafen, nach Duisburg in den Innenhafen oder zum Stadthafen in Münster fahren – genau so austauschbar und beliebig soll auch der Dortmunder Hafen aussehen, wenn er fertig ist.

Vorbild für das Projekt ist der Phoenixsee in Hörde. Genauso wie für die Entwicklung des Villenviertels im Dortmunder Süden wurde für den Hafen eine Entwicklungsgesellschaft gegründet, die ziemlich ungeschickt benannte D-Port AG. Und genau wie beim Bau des Sees hat diese Entwicklungsgesellschaft sich in ungeheure Unkosten gestürzt, in deren Folge finanzielle Zwänge der Stadt einen großen Teil ihres Handlungsspielraums nehmen. Die Entwicklungsgesellschaft versucht, den Kauf der riesigen Werkhalle an der Speicherstraße als großen Gewinn für das gesamte Projekt darzustellen – statt dessen stellt dieser Kauf eine Hypothek dar, in deren Folge zum ersten mal seit über hundert Jahren städtische Grundstücke an Investmentfirmen verkauft werden müssen. Eigentlich haben die Städte nach den neoliberalen 90ern und 0er Jahren gelernt, dass der Verkauf von Tafelsilber niemals positive Auswirkungen hat – die Entwicklungsgesellschaft hat sich darüber hinweggesetzt – ohne überhaupt einen konkreten Plan zu haben, was mit der Fläche geschehen soll.

Konkreter sind die Pläne im Süden der Speicherstraße. Hier wird die Lensing Mediengruppe in das ehemalige Schenker-Gebäude einziehen, an der Brücke zum Hafenamt wird ein „Leuchtturm“ genanntes Bürogebäude entstehen und eines der alten Lagerhäuser wird zum „Heimathafen“ umgebaut. Dort soll soziale Infrastruktur aus dem ganzen Stadtgebiet konzentriert werden und Zugezogene und Langzeitarbeitslose auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse vorbereitet werden. Dieser Teil des Hafens wird vermutlich sogar noch wiederzuerkennen sein, wenn alle Arbeiten abgeschlossen sind, auch wenn Raiffeisen und ihr markanter Turm eine ungewisse Zukunft haben.

Wir finden gut, dass in der Nordstadt Projekte gestartet werden. Die Menschen hier unterstützen, wenn Probleme angepackt und die Lebensqualität verbessert wird! Um so mehr trifft es uns jedoch, wenn diese Projekte sich überhaupt nicht am Wohl der Allgemeinheit ausrichten. Wenn die Bedürfnisse von Bewohnerinnen und Bewohnern des Viertels und der Nutzerinnen und Nutzer des Hafens nicht berücksichtigt werden, läuft etwas falsch. Wir fordern, dass es zu der Entwicklung des Hafens und zu jedem Stadtentwicklungsprojekt echte Beteiligung gibt! Beteiligung, die diesen Namen auch verdient muss mehr leisten, als nur fertige Pläne zu präsentieren. Echte Beteiligung bedeutet, dass Menschen auf die Pläne Einfluss nehmen können, dass die Pläne nach öffentlichen Veranstaltungen anders aussehen dürfen als vorher! Es fällt wahrscheinlich niemandem hier schwer, zumindest ein paar Wünsche oder Ideen für so große Stadtumbauprojekte zu formulieren. Die wenigsten sind gleichgültig. Wir sind nur gar nicht daran gewöhnt, mit entscheiden zu können, zu dürfen. Kaum jemand kann sich vorstellen, Verantwortung für seine oder ihre Stadt übernehmen zu dürfen!

Es gibt Menschen, die warten nicht auf irgendeine Erlaubnis, bevor sie Verantwortung übernehmen. Sie gründen Initiativen und Vereine und fangen einfach an. Sie tragen persönlich hohe Risiken, das Scheitern immer vor Augen. Diese Menschen lassen sich davon nicht zurückhalten. Aber in den Plänen der Stadt ist kein Platz für sie und ihre Initiative! Sie werden als störend empfunden! Ihre Verträge sind immer befristet, die Verlängerung ist nie sicher. Die Entwicklungsgesellschaft für den Hafen gibt sich ahnungslos. So lange sie sich im Rahmen der Legalität bewegt, scheint es dort keine Hemmungen zu geben, Existenzen zu zerstören, wenn diese dem Ziel der reibungslosen Vermarktung im Weg stehen. Natürlich muss man damit rechnen, dass ein Vertrag nicht verlängert wird. Natürlich hofft man darauf, dass ein Projekt, dass mit viel Kraft und Herzblut aufgebaut wurde, nicht nach ein paar Jahren an gierigen Eigentümern scheitert. Es kann nicht sein, dass die Stadt die am Hafen existierenden erfolgreichen Initiativen, kleinen Gewerbe und Projekte aus Ignoranz zerstört! Das ist schon so passiert mit den Werkstätten und der Druckerei in der nördlichen Speicherstraße. Das droht auch den Coworkingspaces und Ateliers, das droht Herr Walter und dem Umschlagplatz. Wir forden: Alle bleiben! Wir fordern, dass die bereits eingeleitete Vertreibung von Kleingewerbe aus dem Hafen gestoppt wird und die verbliebenen Initiativen eine langfristige Perspektive bekommen!

Aber es sind nicht nur die Menschen betroffen, die am Hafen arbeiten und ihre Freizeit verbringen. Wer ernsthaft glaubt, dass dieses Projekt nicht massive Auswirkungen auf das gesamte Viertel haben wird, hat in der Stadtplanung nichts zu suchen! Welche Folgen eine solche Entwicklung haben kann, ist am Phoenixsee sehr gut zu beobachten: Aus ganzen Straßenzügen wurden die Bewohnerinnen und Bewohner vertrieben. Die Mieten steigen – sowohl für Wohnungen als auch für Gewerbe. Die Menschen vor Ort werden um die vollmundig versprochenen Vorteile gebracht. Das ist nicht fair! Wir fordern, dass keine Mieterin, kein Mieter im Viertel der Entwicklung des Hafens weichen muss! Wir fordern den Schutz des bezahlbaren Wohnraums in der Nordstadt und ein städtisches Konzept zur Unterstützung der Gewerbetreibenden!

Es wird deutlich, dass die Verantwortlichen bei der Stadt versuchen, mit dem absoluten Minimum an Beteiligung und Rücksicht durchzukommen. Das Projekt ist aber auch inhaltlich mittelmäßig, Innovation sucht man vergebens. Auch wenn ein Werbefilm Nachhaltigkeit verspricht, gibt es bisher weder gute Ansätze zur Verbesserung der Fahrradinfrastruktur noch ein ÖPNV-Konzept. Dafür finden sich gleich mehrere Parkhäuser. Statt mehr Parkplätze zu bauen, sollten die vorhandenen den Anwohnerinnen und Anwohnern vorbehalten bleiben und das Entwicklungsgebiet eine zukunftsfähige Erschließung erhalten.

Wir in Dortmund stehen nicht alleine da mit einer Stadt, die lieber nicht so viel mit den Bürgerinnen und Bürgern zu tun haben will. Überall wird versucht, mit undemokratischen Methoden wirtschaftsfreundliche Entwicklungen durchzudrücken. Beteiligung gibt es nur dort, wo engagierte Menschen sie erzwingen! Beteiligung funktioniert nur, wenn man einen langen Atem hat und sich weder einschüchtern noch von Rückschlägen entmutigen lässt. Wir in Dortmund haben allerdings einen großen Vorteil: noch können wir unsere Wohnungen bezahlen, die Miete für unser Läden aufbringen. Wenn wir aber jetzt passiv bleiben, verlieren wir nicht nur den Hafen. Wenn wir einfach abwarten, haben wir irgendwann Mieten wie in Hamburg, Berlin oder München. Wir müssen jetzt stadtpolitisch aktiv werden!

Damit meine ich nicht nur zur Wahl zu gehen. Wählen heißt, sich für das kleinste Übel zu entscheiden. Aber wir wollen nicht mehr das kleinste Übel! Wir wollen mehr als nur Mittelmaß! Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, wir haben Ideen und Träume. Es ist Zeit, dass unsere Ideen, unsere Wünsche und Träume nicht länger ignoriert und als störend angesehen werden! Wir werden nicht länger schweigen und nur passiv am Rand stehen – jetzt fordern wir unüberhörbar ein, was uns allen zusteht: Die volle Verantwortung für unsere Stadt!

BILDER: SEPTEMBER 2019, DORTMUND (FG und RNRM)