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Kreativ mit Bochum-Gen: Stadtmarketing versus Wirklichkeit

Alliterationen sind äußerst beliebt in der Werbung, weil Botschaft und Pro­dukt besser in unseren Köpfen kleben bleiben. Spiel, Spaß, Spannung und Schokolade. „Die Bochum-Strategie“, die der Verwaltungsvorstand der Stadt im Februar präsentier­te, trommelt mit „Wissen – Wandel – Wir-Gefühl“. Bei wem hier welche Botschaft und für was genau kleben bleiben soll, ist unklar – aber es geht erklärtermaßen erstmal dar­um: Dialog. Und auch darum: Den „Klebeeffekt“ der Stadt so ingesamt zu erhöhen, wie Stadtdirektor und Kulturdezernent Michael Townsend bei der Präsentation des Papiers im Rahmen einer Veranstaltung der VHS Anfang März erklärte.

Denn obwohl man an dem Abend im Musikforum – „unserem neuesten Kulturbaby“ (Townsend) – beim Zuhören den Eindruck gewinnen konnte, dass Bochum die Boomtown schlechthin ist, gehen in der Realität immer noch viele nach dem Studium doch woanders hin. Das „Wir-Gefühl“ soll deswegen den Kitt bilden als „tragende Basis der Stadtgesellschaft“, wie es im Papier heißt. „Die eigene Identifikation mit der eigenen Stadt ist praktisch ein Bochum-Gen“, geht es etwas verstörend weiter. Das Wir-Gefühl sei der „Gen-Code“ der Stadt. Eine Gen-Assoziationskette verselbständigt sich im Kopf zu einer Dystopie genmanipulierter Uni-Absolvent*innen, die qua DNA dazu verdammt sind für immer in Bochum zu leben.

So offensichtlich absurd dieses Resultat rücksichtsloser Marketing-Neudefinitionen in diesem Fall ist, so platt kommt das Durchdeklinieren der neoliberalen Vokabelbox für das freundliche Kreativwirtschaftsunternehmen Stadt im ganzen Papier rüber: Der „leistungsfähige Konzern Stadt“, der sich „als Dienstleister“ mit hoher „Kundenorientierung“ versteht, die „pulsierende City“ mit ihren „Kiezen“ und „beliebten Wohnquartieren“, mit ihrer „Offenheit und Toleranz“ und „hohem Freizeitwert“. Gleichzeitig ist von „stadtgesellschaftlicher Teilhabe“ die Rede, von der „Mitwirkung der Bürger“ mit ihren „berechtigten Ansprüchen“. Immer wieder wird die Wichtigkeit ehrenamtlichen Engagements bemüht und es wird versprochen, auch das stärker zu fördern. Man versteigt sich sogar zu der Behauptung „Willkommenskultur, Solidarität und Vielfalt sind typisch für Bochum“. Dürfen die das? Tja, Stadtmarketing muss bekanntlich nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Bochumer Realität – mal ganz anders

Diese Wirklichkeit wäre zumindest mal eine ganz neue: Nach langen Jahren der Kürzungen und des Sanierungsstaus soll nun alles „verstärkt gefördert“ werden: „Bedarfsgerechtes Wohnraumangebot“, die freie Kulturszene, ein „umfassendes Radwegnetz“, „qualitätsvolle Schulausbildung“ etc. Fragt sich nur: Wovon, bei steigender Neuverschuldung und weiterhin sinkenden Einnahmen?

Dass mehr als 60.000 Menschen in Bochum als arm gelten und jedes vierte Kind Transferleistungen bezieht, dass die Schulen überall hier vor sich hin bröckeln: kein Thema für die Bochum-Strategie. Die versprochenen Jobs mit „fairen Arbeitsverhältnissen“ – wo sollen sie herkommen? Die „wissensbasierten Jobs“ – selbst wenn sie entstehen, helfen sie den von Armut Betroffenen weiter? Und die Tatsache, dass die SPD eine Resolution zum Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan im Rat abgeschmettert hat, ist mit „Willkommenskultur und Solidarität“ wohl kaum vereinbar.

„Das, was wir hier machen, ist keine reine Stadtwerbung“ betonte Michael Townsend dagegen in der VHS-Veranstaltung im März, die Zweifel zu entkräften versuchend. „Was wir hinbekommen als eine der wenigen Städte: Verschränkung von Stadtmarketing und Kommunalpolitischer Strategie“. Und wie sieht sie aus, die kommunalpolitische Strategie, zum Beispiel in punkto Kultur? Im Strategiepapier wird Bochum zum „Hot Spot der Live Kultur“, darunter wird dann von Hochkultur und Festivals über freie Kultur bis hin zu „kreativen Milieus“ und „Kiezstrukturen“ alles subsummiert. „Kernaktivitäten“ auf dem Weg zum Hot Spot: „Events“ und „Festivalformate“. Townsend hebt an zur Lobpreisung und zur Verteidigung einer starken Kulturstadt Bochum: Ihre „Hochkultur der Spitzenklasse“ habe überregionale Ausstrahlung, für die freie Kulturszene tue die Stadt angeblich mehr als andere Städte im Ruhrgebiet, und dann die „Kulturunternehmer“, die Musikschule und und und. So viel passiere hier, dass man sich oft nicht entscheiden könne, wohin man gehen soll.

Wen wollte er hier überzeugen? Im Publikum: Viele Kulturschaffende und Künstler*innen, viel freie Kulturszene, die in den letzten Jahren immer wieder gegen massive Kürzungsdrohungen und für langfristige Vereinbarungen kämpfen musste und denen Townsend dann auch schonmal begegnete, Kurzarbeit sei doch eine kreative Lösung.

Michael Townsend versuchte sich im Musikforum in Befriedung nach allen Seiten, versuchte alles irgendwie unverbindlich noch mit aufzunehmen, rang um Glaubwürdigkeit. Doch die „Bochum-Strategie“ wollte beim Publikum nicht richtig verfangen. Warum jetzt nochmal „neue Festivalformate“? Eine spontane Umfrage in der freien Kultur ergab, dass diese allein diese im Jahr ca. 27 Festivals stemmt. Wie wird der genaue Prozess jetzt eigentlich ablaufen, was wird konkret passieren? Und was ist eigentlich mit dem Kulturentwicklungsplan, der 2015 beschlossen wurde und endlich Planungssicherheit für die freie Kultur schaffen sollte?  Keine konkreten Antworten, dafür aber das „verbindliche“ Versprechen, das jetzt alles sehr dialogisch ablaufen soll und immerhin das Angebot mit der freien Kulturszene vielleicht sogar schon bei ihrem nächsten Treffen – dem Kulturstammtisch – gemeinsam weiterzureden.

Kunst oder nicht Kunst? Einmischen oder wegschauen?

Und einmal dann doch ein „Nein“. Auf die Frage, wie es denn mit der Förderung von künstlerischen Produktionsorten sei, stellte Townsend klar: „Wer priorisiert, muss auch posteriorisieren“, wenn Livekultur, dann eben keine Kunst, Kunst gäbe ja außerdem auch schon in Essen genug. Unruhe im Saal, das provozierte natürlich Widerspruch. Das Priorisieren von oben – grundsätzlich fragwürdig. Das Städte-Konkurrenzdenken – Teil des Problems der Kulturpolitik. Aber weil es ja um Dialog geht und man Vorschläge machen soll, schlug Dorothee Schäfer vom Freien Kunst Territorium ein Künstlerhaus vor. Was Townsend dann irgendwann doch „eine tolle Idee“ fand, für die er sich persönlich stark machen würde. Und Prioritäten schlössen ja anderes nicht aus. Den richtigen Moment, sich stark zu machen für ein Künstlerhaus hatte Townsend vor einige Jahren mit Ansage verstreichen lassen, als das Freie Kunst Territorium schon ein architektonisch geniales und großes Gebäude nutzte und Unterstützung bei den Verhandlungen zum Kauf und zur Weiternutzung hätte gebrauchen können. Naja, jede*r verdient ja schließlich eine zweite Chance. Auch wenn Townsend direkt auch schon andeutete, dass natürlich nicht alles gelinge, weil die Stadt einfach nicht genug Geld habe.

Einen bemerkenswerten Moment gab es bei der Präsentation der Bochum Strategie dann doch noch, und zwar in puncto Ordnungspolitik. Darauf hingewiesen, dass Vielfältigkeit und Urbanität in der Stadt vor allem auch in dem lebt, was vielfach unter der Wahrnehmungsschwelle der Stadtverwaltung liegt und nur werbewirksam als Hintergrunderzählung („kreative Milieus“) benutzt wird; dass eben diese Initiativen und freie Kunst- und Kulturschaffende große Probleme haben, Räume zu finden, und dass Räume, die es dann gibt, direkt ordnungsrechtliche Probleme bekämen, darauf beeilte sich Townsend Verständnis zu zeigen: Ja, da müsse die Stadt schauen, wie sie ihre (bau-)ordnungsrechtlichen Ermessensspielräume nutzen könne. Die Kneipenmeile Bermudadreieck sei seiner Zeit ja auch nur entstanden, weil die Stadt damals „weggeschaut“ habe. Und ja, das stimme, es fehle an Räumen, vielleicht könne man ja zentral Leerstände erfassen. Sollte sich die Stadt also einmischen oder raushalten, hakte Moderatorin Vicki Marschall nochmal nach: Raushalten und hin und wieder unterstützen, so die Antwort. Und die Versicherung: Man wolle als Stadtverwaltung nichts verhindern. Vielleicht sollte man die Stadt bei diesem Punkt zumindest dann doch beim Wort nehmen, wenn es mal wieder Stress mit den Behörden gibt.

BILD: BOCHUM ZENTRUM, KORTUMSTRASSE, MÄRZ 2017 (KRISZ)