Zum Inhalt springen

Die Dinosaurier weigern sich zu sterben – Der Steag-Deal und die Finanzkrise der Ruhrgebietskommunen

Im April 2017 legte das Essener Energieunternehmen Steag eines der größten Kohlekraftwerke Deutschlands in Voerde am Niederrhein still, das sie in Kooperation mit der RWE AG jahrzehntelang betrieben hatte. Es wird in den nächsten Jahren abgerissen. Die Energiewende hat nun auch den fünftgrößten deutschen Stromerzeuger erfasst. Das Besondere an der Steag ist, sie wurde vor einigen Jahren von einem Stadtwerke-Konsortium aus dem Ruhrgebiet gekauft. Dass ausgerechnet hoch verschuldete Ruhrgebietsstädte dieses Risiko übernahmen, ist ein unfassbarer Vorgang, dessen Auswirkungen jetzt deutlich werden.

Ein internationaler Konzern im Besitz von Kommunen

Die Steag befindet sich im Besitz der Kommunalen Beteiligungsgesellschaft – KSBG. Dieses Stadtwerke-Konsortium besteht aus den Stadtwerken der Kommunen Dinslaken (6 %), Duisburg (19 %), Oberhausen (6 %), Essen (15 %), Bochum (18 %) und Dortmund (36 %). Im August 2014 ging mit dem Kauf der zweiten Tranche – 570 Millionen Euro kosteten 49 % der Anteile – die Steag vollständig in den Besitz der beteiligten Städte über. Die Gesamtsumme von rund 1,2 Milliarden Euro für den Kauf der Steag wurde von den Stadtwerken in erster Linie über Kredite finanziert. Ihr Plan, mit den Gewinnen der Steag die Tilgung der Kredite zu bedienen und zusätzlich Gewinne an die beteiligten Städte auszuschütten, ist in Frage gestellt.

Die Steag gerät in die Krise

Die Steag steht unter Druck. Trotz eines Verlustes von 220 Millionen Euro in 2016 sollen 55 Millionen Euro als Gewinnausschüttung an die Stadtwerke fließen. Die Steag löst dafür Rücklagen auf. Doch von den 55 Millionen Euro werden 40 Millionen für die Tilgung der Kredite verwendet – nur 15 Millionen bleiben tatsächlich für die Stadtwerke übrig. Die Gewinnausschüttung hat sich damit gegenüber 2015 halbiert. Die Städte müssen damit rechnen, in den kommenden Jahren überhaupt keine Ausschüttungen mehr zu erhalten.

Im Laufe des Jahres 2017 will die Steag 40 % ihrer Kraftwerksleistung in Deutschland vom Netz nehmen. Bis Ende 2020 sollen von den 6.100 weltweit Beschäftigten bis zu 1.000 die Steag verlassen. Besonders die 3.500 Mitarbeiter*innen in Deutschland werden davon betroffen sein.

Die Steag, die in Deutschland hauptsächlich Kohlekraftwerke betreibt, ist ein träger Dinosaurier, der ebenso wie die RWE AG die Energiewende verschlafen hat und nun in die Krise gerät. Ende 2016 betrug der Anteil erneuerbarer Energie im Steag-Konzern gerade einmal 8 %.

Der Ausbau der erneuerbaren Energie und ihre vorrangige Einspeisung verringert die Einsatzzeiten konventioneller Kraftwerke. Zugleich sinkt der Großhandelspreis für Strom. Kohle- und Gaskraftwerke belasten nicht nur das Klima, sondern sind unwirtschaftlich geworden und das Atomstromgeschäft befindet sich in Abwicklung. Das alte Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr.

Fragwürdige Auslandsgeschäfte

Gewinne erzielt die Steag in erster Linie im Ausland. Sie betreibt drei eigene Kohlekraftwerke in Kolumbien, auf den Philippinen und in der Türkei. Darüber hinaus ist sie als Dienstleister für den Betrieb von Kraftwerken in Spanien, Georgien, Indien, Brasilien, Botswana, und Saudi-Arabien verantwortlich.

Die Frage, ob der Einstieg ins internationale Energiegeschäft und die damit verbundenen Spekulationen eine originäre Aufgabe von Stadtwerken ist, die für die öffentliche Daseinsvorsorge der Kommunen gegründet wurden, wird von den beteiligten Städten ignoriert. Dass Ruhrgebietsstädte Gelder aus Ländern wie Kolumbien, Botswana, Saudi-Arabien, der Türkei oder den Philippinen ziehen, ist nicht nur fragwürdig, sondern angesichts der Menschenrechtssituation und der politischen Verhältnisse in diesen Ländern eine Bereicherung auf Kosten anderer.

Immer wieder sind auch die Kohleimporte der Steag aus Ländern wie Kolumbien oder Südafrika in die Kritik geraten. Die Ermordung von Gewerkschaftler*innen in kolumbianischen Kohleminen durch Paramilitärs ist bekannt. Die Steag gibt zu ihren Kohleimporten wenig Auskunft und weist Kritik mit der Aussage, sie verhalte sich „verantwortungsbewusst und fair“, zurück. Die anerkannten »Fairtrade-Towns« Bochum, Dortmund und Dinslaken schweigen dazu.

Die Verfilzung mit der Energiewirtschaft und die Kettenreaktionen der Energiewende

Die Verfilzung der Kommunen mit der Energiewirtschaft ist im Ruhrgebiet besonders dicht. Wie verhängnisvoll sich diese Abhängigkeiten auswirken, wurde beim Niedergang der RWE AG besonders deutlich. Zahlreiche Ruhrgebietsstädte sind Anteilseignerinnen der RWE AG. Jahrzehntelang wurden mit den Dividenden aus den RWE-Aktienpaketen Haushaltslöcher gestopft, Defizite von Verkehrsbetrieben ausgeglichen oder Schwimmbäder subventioniert. Damit ist jetzt Schluss. Die Ankündigung der RWE AG im Februar 2016, überhaupt keine Dividende auszuzahlen, versetzte die beteiligten Kommunen endgültig in Panik. Durch den Kursverfall der RWE-Aktien in Folge der Energiewende mussten die Kommunen als Wertberichtigungen Millionenverluste in ihre Bilanzen einbuchen.

Jahrelang, auch als die Krise des RWE schon absehbar war, weigerten sich die Städte beharrlich ihre RWE-Aktien, das „Tafelsilber“, zu verkaufen. Aus dem Tafelsilber ist nun Blech geworden. Die Stadt Bochum hat Ende 2016 entschieden seine 6,6 Millionen RWE-Aktien zu verkaufen. Andere Städte wie Dortmund, der größte kommunale Aktionär von RWE, überlegen sogar weitere RWE-Aktien zu kaufen.

Es ist davon auszugehen, dass der Steag-Konzern einen ähnlichen Absturz erleben wird wie die RWE AG. Auch wenn Lobbyismus und politische Entscheidungen die Energiewende immer wieder ausbremsen, wie z.B. die im Juni 2015 getroffene Entscheidung der Bundesregierung auf eine Klimaabgabe auf Kohlekraftwerke zu verzichten, sie wird sich nicht aufhalten lassen.

Die Funktion der Stadtwerke als Schattenhaushalt und Geldmaschine der Kommunen ist zusammen mit den Energieunternehmen im Ruhrgebiet in die Krise geraten. In Duisburg hat sich das finanzielle Verhältnis zwischen Stadt und Stadtwerken inzwischen sogar umgekehrt: Die Stadt Duisburg musste in 2015 ihren taumelnden Stadtwerke-Konzern mit einem 200-Millionen-Euro-Kredit stützen.

Altlasten und alte Seilschaften

Der Kauf der Steag durch das Stadtwerke-Konsortium aus dem Ruhrgebiet ist ökonomisch betrachtet kaum zu begreifen. Der Kauf war vermutlich in erster Linie eine politische Entscheidung.

Die Steag gehörte zum 2007 gegründeten Essener Chemie- und Technologiekonzern Evonik, der aus der ehemaligen Ruhrkohle AG hervorging. Hauptaktionär von Evonik ist die RAG-Stiftung, die gegründet wurde, um den deutschen Steinkohlebergbau abzuwickeln und die sogenannten Ewigkeitskosten zu finanzieren. Dazu gehören z.B. die Aufrechterhaltung der Grubenwasserhaltung, ohne die große Teile des Ruhrgebiets absaufen würden.

Am Ende des Steinkohlebergbaus wurden also die verbliebenen Nicht-Steinkohlesparten Chemie, Energie und Immobilien in den Konzern Evonik ausgegliedert. Bei der anschließenden Neuordnung des Konzerns konzentrierte sich Evonik auf die profitablen Kernbereiche Chemie und Technologie und verkaufte seine Beteiligungen in den Bereichen Energie und Immobilien, darunter die Steag. Der nicht mehr zukunftsfähige „Schrott“ musste weg. Am 02. März 2011 wurde die erste Tranche von 51 % für 649 Milionen Euro an das Stadtwerke-Konsortium aus dem Ruhrgebiet verkauft. Nur wenige Tage später ereignete sich am 11. März 2011 die Atomkatastrophe von Fukushima und leitete endgültig den Übergang zum postfossilen Zeitalter in Deutschland ein. Die verschlafene Energiewende traf zuerst die RWE AG mit den bekannten Folgen. Diese Entwicklung war absehbar, auch wenn die Geschwindigkeit mit der die Energieunternehmen in die Krise gerieten überraschte.

Welche Absprachen es im Vorfeld des Steag-Deals zwischen Unternehmen, Kommunen und der politischer Klasse gab, darüber kann nur spekuliert werden. Irgendjemand musste die Steag übernehmen. Dass sich aber ausgerechnet die überschuldeten Ruhrgebietskommunen diesen Steinkohle-Dinosaurier an’s Bein banden, ist ohne das alte Bündnis zwischen Großindustrie, Sozialdemokratie und Gewerkschaften, und hier insbesondere ohne die Scharnierfunktion der IGBCE, nicht zu begreifen. Das eigentlich verschwunden geglaubte Ruhrgebiet der Montanindustrie erscheint auf einmal sehr lebendig.

Die Kommunen als Opfer und Täter

Die Ratsfraktionen der Städte, die dem Kauf der Steag zustimmten, gefielen sich in der Rolle ein großes Energieunternehmen zu entwickeln und eine vermeintliche Geldmaschine zu besitzen. Von vorausschauenden Kommunen, die ihre Aufgabe darin sehen, die Stadt als Gemeinwesen zu entwickeln und verantwortlich mit ihren Ressourcen umzugehen, wäre zu erwarten gewesen, die Finger von diesem Deal zu lassen. Doch die Städte begreifen sich heute selbst als „Konzerne“, die in der globalen Finanzwirtschaft aktiv sind, mit Fremdwährungskrediten spekulieren und über Tochtergesellschaften riskante Investments organisieren. Jedoch mit einer Naivität und Verantwortungslosigkeit, die sich ein wirkliches Unternehmen im neoliberalen Kapitalismus nicht leisten kann.

Die Finanzkrise, in der sich die Ruhrgebietsstädte befinden, ist nicht nur eine Folge des anhaltenden Strukturwandels, sondern auch selbst verschuldet. Doch solange Schulden mit neuen Schulden bezahlt werden können, ist ein finanzieller Zusammenbruch nicht zu befürchten. Kommunen können überhaupt nicht pleite gehen. Dieser Fall ist im deutschen Insolvenzrecht nicht vorgesehen.

Über einen Ausstieg aus dem Steag-Deal hat keine der beteiligten Kommunen bisher laut nachgedacht. Das RWE-Aktien-Desaster hat offensichtlich keine nachhaltige Wirkung hinterlassen. Der aktuelle Wert der Steag-Anteile ist schwer zu bewerten. Die Steag ist keine Aktiengesellschaft und wird nicht an der Börse gehandelt. Kritiker gehen jedoch davon aus, dass die Beteiligungspakete bis zu 70 % an Wert verloren haben könnten.

Wenn in der Zukunft die Energieversorgung so funktioniert wie der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin es in seinem Buch »Die Null Grenzkosten Gesellschaft« vorhersagt, als Netzwerk, in das alle etwas einspeisen und aus dem alle etwas entnehmen, als kollaboratives Gemeingut, werden Konzerne wie die Steag überflüssig sein. Ihr Sterben hat heute schon begonnen.

BILD: SENCKENBERG NATURMUSEUM (PALÄONTOLOGIE UND GEOLOGIE), FRANKFURT A.M., APRIL 2017 (RNRM)


Reaktion der Steag

Nur einen Tag nach der Veröffentlichung unseres Artikels reagierte der Pressesprecher der Steag Jürgen Fröhlich. Er warf uns eine „falsche Tatsachen-Behauptung“ beim Thema Importkohle vor und wiederholte die Aussage die Steag verhalte sich „verantwortungsbewusst und fair“. Er wies auf die Arbeit des Chief Compliance Officer der Steag hin, der in Kolumbien die sozialen und ökologischen Aspekte der Kohleförderung überprüft: „Nach unseren Erkenntnissen sind die Arbeits- und Sozialstandards bei Cerrejón sehr hoch.“ El Cerrejón ist das kolumbianische Unternehmen von dem die Steag Kohle bezieht.

Tatsächlich steht die Ermordung kolumbianischer Kohle-Gewerkschafter im Zusammenhang mit dem Engagement des US-Amerikanischen Bergbaukonzerns Drummond, von dem die Steag keine Kohle bezieht.

Wir können die Situation vor Ort natürlich nicht selbst überprüfen sondern verweisen hier auf das Dossier »Bitter Coal« der NGOs urgewald und FIAN zum Thema Steinkohleimporte. Darin heißt es: „Cerrejón hat durch eine geschickte PR-Offensive dafür gesorgt, dass die Mine heute für viele Energieversorger als Vorzeigeunternehmen gilt. Die Energieversorger verweisen auf eigene Besuche vor Ort oder gar Audits, die keinerlei Probleme zu Tage fördern konnten. Details der Audits und Besuche werden von ihnen allerdings nicht veröffentlicht.“

Wie auch immer. Die Umweltzerstörungen durch den Tagebau in Kolumbien sind gewaltig und die Menschenrechtssituation ist dort prekär. Zusammen mit dem Klimawandel sind das Gründe genug um die Kohle im Boden zu lassen.