Interview mit den Aktivist*innen des »Alibi«
Mit dem Alibi war Anfang 2016 ein selbstverwalteter Freiraum entstanden, den es in der Form in Essen vorher nicht gab: ein Raum für Gruppentreffen, Veranstaltungen, Konzerte, Parties und mehr. Nun musste das Alibi aus den Räumen ausziehen. Damit fehlt wieder ein Ort für politische Initiativen und selbstorganisierte Aktivitäten in Essen. Die Aktivist*innen erzählen, wie wichtig ein solcher Ort ist und wie es nun weitergehen soll.
Nach jahrelangen Kämpfen und Versuchen einen Freiraum zu schaffen, bekamt ihr endlich die Räume, in denen das Alibi noch bis vor Kurzem war. Nun ist es leider vorbei. Was sind denn eure Erfahrungen der letzten Jahre? So ein Raum wächst ja auch mit der Zeit: Welche Möglichkeiten hatte das Alibi eröffnet, welche Bedeutung hat es bekommen?
Nachdem es sich schwierig gestaltete, außerhalb von Mietverhältnissen, zum Beispiel durch Besetzungen, an Räumlichkeiten für unsere Bedürfnisse zu kommen, haben wir im Februar 2016 durch die Ratsgruppe »Schöner Links« die Möglichkeit erhalten im Essener Norden einen Freiraum zu schaffen. An unserem offenen Plenum konnte sich jede*r beteiligen, sodass alle Entscheidungen unabhängig von »Schöner Links« getroffen wurden.
Das Alibi hat uns ermöglicht, einen unkommerziellen, selbstverwalteten Raum für kulturelle, soziale und außerparlamentarische Arbeit zu gestalten, wie es ihn bisher in Essen nicht gab. Dieser Ort war ein Raum für Experimente aller Art, ein zentraler Treffpunkt für Subkulturen im weitesten Sinne. Uns war es wichtig, den Raum offen zu halten, um Partizipation für alle interessierten Personen zu garantieren. Fernab der klassischen Maximen unserer Gesellschaft wie Leistungszwang, Lookism*, kommerzieller Nutzen…, haben sich Gruppen mit verschiedensten Anliegen zusammengefunden: „Kapital“-Lesekreis, Anarchistische Gruppe, Selbstorganisation von Geflüchteten, FLTI*-Gruppe… Und es wurden verschiedene Veranstaltungen auf die Beine gestellt, wie DIY-Workshops, ein Nähcafé, ein Mitbring-Restaurant, politische Vorträge, Konzerte, Punkerdiskos, Soli-Partys, etc.
Unsere Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, dass so ein Ort in Essen dringend gebraucht wird, jede Veranstaltung war gut besucht. Insbesondere sind viele neue Leute zusammengekommen, die vorher nicht in linken Strukturen organisiert waren.
So schnell wie ihr den Raum damals bekommen habt, so schnell musstet ihr jetzt plötzlich raus. Gab es denn gar keine Möglichkeit dort zu bleiben?
Für den Tod des Alibis gab es verschiedene Gründe. Einerseits gab es seit etwa November 2016 wegen Partys und Konzerten Stress mit dem Vermieter und es hat sich herausgestellt, dass der Raum nicht allen Zwecken gerecht werden konnte. Außerdem hat sich die Ratsgruppe »Schöner Links« relativ plötzlich aus internen Gründen aufgelöst, sodass die Räumlichkeiten nicht mehr zur Verfügung standen. Den Raum als Gruppe zu mieten, war für uns kohletechnisch jedoch keine Option.
Ihr beschreibt ja selbst, dass ziemlich viel los war im Alibi, viele hatten dort endlich einen Raum für Gruppentreffen jenseits der WG-Küche gefunden. Wo treffen sich denn jetzt die ganzen Gruppen, wo finden die ganzen Aktivitäten jetzt statt?
Das Plenum ist vorerst zurück an den WG-Küchentisch gewandert, findet aber weiterhin regelmäßig statt. Bestimmte Aktivitäten können zurzeit natürlich nicht stattfinden, die Gruppen, die sich dafür zusammengeschlossen haben, existieren dennoch weiter. So konnte der Lesekreis ins Makroscope in Mülheim ausweichen, die FLTI*-Gruppe trifft sich in Räumen des Frauen*-Referats der Uni Essen und alle hoffen, dass es sich dabei nur um eine Zwischenlösung handelt.
Es ist ja schon seltsam, dass es in einer so großen Stadt wie Essen scheinbar kaum selbstorganisierte, selbstverwaltete, nicht professionalisierte Räume gibt. Woran liegt eigentlich dieser Mangel an Freiräumen: Fehlt die kritische Masse, fehlen Leerstände bzw. bezahlbare Räume, ist die Stadt zu zerstückelt…?
Diese Frage beinhaltet mehrere Aspekte, wir fangen mal von hinten an: Wir haben über das Phänomen der zerstückelten Stadt länger diskutiert, denken aber, dass das kein Problem von Essen, sondern des gesamten Ruhrgebiets ist. Dieses Ineinander-Übergehen von Großstädten wird aber auch vielfach als Chance genutzt, aus manchen Essener Stadtteilen ist man eben schneller in einer anderen Stadt als im Zentrum. Wir hatten nicht das Gefühl, dass ausschließlich in der Nähe Wohnende vorbeigeschaut haben, sondern gerade auch Leute aus verschiedensten Ruhrgebietsstädten.
Eine Erklärung für fehlende kritische Masse könnte aber sein, dass es bereits diverse etablierte selbstverwaltete Läden im Ruhrgebiet gibt, die bequem zu erreichen sind. Uns ist das aber nicht genug! Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass sobald sich ein Raum eröffnet, sehr viele, auch neue Leute, zusammenkommen, um daran mitzuarbeiten.
Hinsichtlich der Leerstände können wir behaupten, dass es in Essen mehr als genug Gebäude gäbe, die nur auf eine Nutzung warten. Auch aus bürgerlichen Reihen gab es bei Hausbesetzungen immer positive Stimmen und Unterstützung, dagegen haben die Stadt und andere Immobilienbesitzer immer mit Räumung und Repression geantwortet.
Was sind jetzt die Perspektiven, wie geht’s weiter? Wollt ihr nochmal Leute mobilisieren für die Forderung nach Freiräumen, wird es eine Zwischenlösung geben?
Wir wollen den Schwung aus dem Alibi auf jeden Fall mitnehmen. Es gibt Überlegungen, ein Ladenlokal zu mieten, um bestehende Strukturen zu erhalten, Plena zu ermöglichen und bereits existierenden Gruppen einen Ort zur Verfügung zu stellen. Es soll aber auch wieder ein Anlaufpunkt für politisch Interessierte und ihre Ideen sein. Der Kampf um Freiräume hört für uns damit aber nicht auf, im Sommer wird es weitere Aktionen geben.
*Lookism meint die Diskriminierung aufgrund des Aussehens
BILD: FILM-STILL AUS »DAS GEGENTEIL VON GRAU«, ALIBI, ESSEN, 2016