Das Haus ist ein bisschen in die Jahre gekommen. Hier und da ist ein Stück abgeplatzt von der grünen, etwas blassen Fassade. Ansonsten: typisch für die Gründerzeithäuser, wie sie im Ruhrgebiet noch in ganz vielen Straßen zu finden sind. Spitze Giebel, schmale, hohe Fenster, abgesetzt, darüber Bögen mit steinernen Blumenmustern. Eine Borte aus Stein zieht sich die Fassade des Hauses entlang, über dem Ladenlokal, das schon lange leer steht, streckt sich ein eckiger Erker die drei Wohnetagen empor. Das Haus steht leer, in einigen Fenstern hängen noch Gardinen, in anderen nicht, bis vor ein paar Tagen. Aus einem der Fenster hängt jetzt ein weißes Transparent, auf dem steht: „Besetzt!“
Am Freitag forderte die Initiative »Stadt für alle« bei einer Kundgebung in der Innenstadt bezahlbaren Wohnraum und die Möglichkeit, die vielen Leerstände für „unkommerzielle Freiräume“ zu nutzen. Kurze Zeit später erschien die Meldung von der Besetzung der Herner Straße 131 im Internet. Die Ladenfenster im Erdgeschoss erzählen noch, dass man hier einmal Parkett kaufen konnte. „Das muss ungefähr 15 Jahre her sein“, sagt ein Besucher, der vor langer Zeit gegenüber wohnte und nun im Innenhof steht und in seiner Erinnerung kramt. Jetzt ist der Blick mit Zeitungs- und Packpapier verdeckt. Seit mindestens einem dreiviertel Jahr steht das Haus komplett leer, ein Ladenlokal, sechs Wohnungen. Es soll zwangsversteigert werden, im Juni ist Termin.
Eine bezahlbare Stadt
„Wir wollen nicht, dass das Haus teuer saniert und hochpreisig vermietet wird“, sagt Arrow. Er heißt eigentlich anders, und er gehört zu denen, die seit ein paar Tagen hier sind. Heute ist ein Grillfest im Hof, geschätzt 50 Menschen sind gekommen, essen Würstchen, Salat, gegrilltes Gemüse. Was sie stattdessen wollen? „Bezahlbaren Wohnraum für Menschen, die einen Bedarf haben“, sagt Arrow. Und: „einen Ort, an dem wir soziale Freiräume schaffen können“, zum Beispiel eben irgendwann unten im Ladengeschäft. Wie genau das aussehen kann, muss jetzt vielleicht noch gar nicht ganz klar sein, sie sind erst ein paar Tage hier.
Das 1905 erbaute Haus ist rund 180.000 Euro wert, gibt ein Gutachten preis, das zur Zwangsversteigerung angefertigt wurde. Laut dem Gutachten ist das Gebäude „in einem ausreichenden, teils mangelhaften baulichen Zustand“. Die Wohnlage ist gut: Das Stadtzentrum ist einen, der Hauptbahnhof zwei Kilometer weg. Die U-Bahn-Station ist direkt vor der Tür, Supermärkte und Kitas nicht weit entfernt. Würde Geld in das Haus gestekct und die Wohnungen wieder herrichtet, lässt sich damit gut verdienen. Der Wohnungsmarkt ist „zunehmend angespannt“, urteilt der Bochumer Wohnungsmarktbericht, Wohnungen in guter Lage finden sich nicht mehr so leicht. Das hat viele Gründe. Bochum schrumpft nicht mehr, sondern wächst. Also suchen auch mehr Menschen als noch vor ein paar Jahren eine Wohnung. Aber überwiegend nicht teure Lofts oder Einfamilienhäuser, sondern günstige, stadtnahe Wohnungen, für deren Miete Ämter aufkommen. Und das wird schwieriger. Die Erfahrung zeigt: Investoren haben Zwangsversteigerungen als Markt entdeckt, um günstig Häuser in vielversprechenden Lagen zu kaufen, zu sanieren und für ein Vielfaches wieder zu vermieten. Da kommen Geringverdienende, Alleinerziehende, Geflüchtete, Wohnungslose, Ältere oder Studierende einfach nicht mehr mit – ihnen wird gutes Wohnen einfach verwehrt. „Wir wollen eine bezahlbare Stadt, die sozial vielfältig ist“, sagt Arrow.
Es ist die erste Hausbesetzung seit 16 Jahren in Bochum. Zum letzten Mal stiegen Menschen im Jahr 2000 in die Alte Feuerwache ein, um dort ein Antirassistisches Zentrum zu besetzen. Immer wieder machen Initiativen auf Probleme aufmerksam, die bestimmte Bevölkerungsgruppen einfach ausklammert aus wichtigen Teilen des alltäglichen Lebens. In Göttingen besetzten zum Beispiel Aktivist*innen im Jahr 2015 das alte DGB-Haus und schufen in den Räumen nach und nach Wohnungen und Zimmer für von Wohnungsnot Betroffene.
Aus der Nachbarschaft gebe es viel Resonanz: Die Familie, die im Hinterhaus der Hausnummer 131 wohnt, duldet das plötzliche Gewusel im Hof, andere bringen Essen vorbei, „andere kommen einfach her und fragen, was wir hier machen“, erzählt Aktivistin Bianca.
Und die Eigentümerin? Der Kontakt sei gesucht worden, aber die Eigentümerin sei nicht begeistert davon, dass nun Menschen in ihrem Haus sind. Die Polizei habe sie wohl schon vorher benachrichtigt. Sie habe schon Anzeige erstattet, schrieb die WAZ am Sonntag. Ab jetzt kann das Haus jederzeit geräumt werden.
Ihr könnt den Besetzer*innen auf Twitter folgen: @squatbo
BILD: DAS BESETZTE HAUS IN DER HERNER STRASSE 131 IN BOCHUM, MAI 2017 (GHT)