Das Magazin »Momentan« erkundet was das Ruhrgebiet ist, sein möchte und sein könnte. Es ist die Bachelorarbeit der Duisburger Grafikdesignerin Ronja Overländer und erschien im Februar 2018 an der MSD Münster School of Design.
»Momentan« ist grafisch durchgestaltet und hat ein redaktionells Konzept. Es gibt launische Kommentare und witzige Alltagsbeobachtungen, einen Hintergrundartikel der den Strukturwandel ökonmisch bewertet, eine Reportage über die Dortmunder Nordstadt oder heimatliche Selbstreflektionen im Format Interview und Essay. Das funktioniert als Magazin ziemlich gut. Es unterhält, informiert und diskutiert. Die Texte stammen aus Blogs, anderen Veröffentlichungen, von Freundinnen und Freunden oder Ronja Overländer selbst – ein bunter Sampler.
Wenn es einen Roten Faden gibt dann sind es die Fragen nach der Identität des Ruhrgebiets und der alten Idee das Ruhrgebiet zu einer Verwaltungseinheit, zu »Ruhr-Stadt«, zusammen zu schließen. Der ehemalige NRW Minister für Stadtentwicklung Christoph Zöpel hat den Vorschlag der »Ruhr-Stadt« neulich in einem WAZ-Interview noch einmal hervorgekramt. Schlecht ist er nicht. Aber bis die Ruhrgebietsstädte einsehen, dass ihre Kirchturmpolitik, diese gegenseitige Kannibalisierung, für alle kontraproduktiv ist, wird noch viel Zeit vergehen. Eher wird der Vorschlag Wirklichkeit alle Bundesligavereine des Ruhrgebiets zu einem »FC-Ruhr« zu fusionieren. Der »FC-Ruhr« wäre jedenfalls unschlagbar.
Womit wir bei der Frage nach der Identität sind. Was ist das Ruhrgebiet mehr als Fußballclubs, originelle Typen, Artefake des Industriezeitalters, Armut und langweilige Vororte? Der Film »Das Gegenteil von Grau« des Netzwerks »Recht auf Stadt – Ruhr« versucht darauf eine positive Antwort zu geben und stellt Menschen und Projekte vor, die – jenseits von „Woanders ist auch Scheiße“ – in den Ritzen des Ruhrgebiets Initiativen ergreifen. So gehören zu Duisburg-Hochfeld eben auch der Stadtteilladen »Syntopia« und die Auseinandersetzung um die Nutzung der »Alten Feuerwache« und nicht nur bröckelnde Fassaden und migrantische Alltagskultur. An einigen Stellen arbeitet sich das Magazin »Momentan« dann doch zu sehr an den gängigen Klischees des Ruhrgebiets ab, wenn auch mit Ironie und Herzlichkeit, was zugleich ebenfalls einem dieser Ruhrgebietsklischees entspricht.
Ich gebe zu, es ist verdammt schwierig diesen Klischees aus dem Weg zu gehen weil man ihnen auf der Straße tatsächlich begegnen kann. Sie sind auch so schön plakativ und anschlussfähig. Und sie produzieren ohne Zweifel interessantere Bilder als die Architektur der Neuen Folkwang Universität auf dem Zollverein-Gelände in Essen oder von Schrebergärten in Oberhausen-Sterkrade. Diese Bilder bedienen jedoch das Erwartbare und nehmen damit die Lust hinter sie zu schauen. Die Schwarzweissbilder im Magazin sind super Fotografien aber etwas weniger Kohlenstaub und Risse im Asphalt hätten nicht nur den Bilderstrecken vielleicht spannendere Perspektiven abgerungen.
Und was ist jetzt mit der Identität? Vielleicht ist diese Frage überhaupt nicht wichtig. Vielleicht sollte man sie tatsächlich den Marketingexper*tinnen beim Regionalverband Ruhr überlassen. Müssen die Bewohner*innen einer Stadtlandschaft mit ihr identisch sein? Braucht es eine neue „Ruhrgebietsidentität“ um hier Initiative zu ergreifen? Und was soll das sein, eine „Ruhrgebietsidentität“? Die Menschen haben heute hybride Identitäten, auch im Ruhrgebiet. Die proletarischen Einschließungsmilieus des Ruhrgebiets haben sich aufgelöst. Das ist ein Fortschritt. Zugleich entstehen neue Parallelgesellschaften. Das ist nicht gut. Interessanter als die Frage nach einer „Identität“ ist die nach dem Gemeinsamen in dem sich die Subjektivitäten nicht auflösen, aber aufgehoben sind: Solidarität als Kooperation und Kommunikation? Um das Gemeinsame herzustellen braucht es die Einmischung in Aushandlungsprozesse. Das ist im Ruhrgebiet besonders schwierig weil die Struktuen verkrustet sind und oft die kritische Masse fehlt. Muß man das aushalten? Mir gefallen die Beiträge im Magazin am besten die sehr persönlich auf das Leben im Ruhrgebiet schauen und z.B. das Weggehen oder Zurückkehren reflektieren. In der Beschreibung dieser merkwürdigen Schwebezustände ist das Maganzin vielleicht am nächsten am titelgebenden Konzept „Momentan“.
Das Magazin »Momentan« ist eine beeindruckende Rechercheleistung und aufwändige journalistische Arbeit. Es präsentiert sich in einem spannungsreichen Editorial-Design mit fetten Kontrasten, vielen Fotos, Illustrationen und einer interessanten Typografie. Respekt!
BILDER: MAGAZIN »MOMENTAN«, FEBRUAR 2018 (RONJA OVERLÄNDER)
Leider dürfen wir das Magazin hier nicht zum Download bereitstellen. Ronja Overländer hat die Rechte für einige Fotografien und Texte nur im Rahmen der gedruckten Exemplare als Bachelorarbeit bekommen. Das kann sich noch ändern und vielleicht gibt es in den nächsten Monaten auch eine richtige Auflage. Wir werden darüber Informieren.