Das Projekt »Das graue Gegenteil« zeigt die Rückseite des Ruhrgebiets
Vor über einem Jahr ging der Dokumentarfilm »Das Gegenteil von Grau« von Matthias Coers und Recht auf Stadt Ruhr auf Filmtour. Das Netzwerk X hat nun das Film- und Internetprojekt »Das graue Gegenteil« gestartet. Die Macher*innen möchten aber das Projekt nicht als „Gegenteil“ zur positiven Botschaft des Films verstanden wissen, sondern eher als seine Rückseite.
„Von dieser Rückseite – vom auch Negativen, vom Unverdichteten, vom Zwischen-Raum – möchte Das graue Gegenteil erzählen, sie/es kritisch reflektieren, zugleich würdigen: mit trotziger Liebe und mit Humor“ heißt es in der Ankündigung. Während das Gegenteil von Grau die vielfältigen Initiativen und Orte sichtbar machte, die praktische Solidariät, Utopien und Freiräume im Ruhrgebiet leben, will das Projekt des Netzwerk X nun die „Missstände thematisieren, die als Reaktion virulente Buntheit hervorbringen.“
Das graue Gegenteil ist in vier bereits produzierten Pilotfilmen zu sehen, die am vergangenen Freitag auf Premierentour gingen. Gleichzeitig wurde eine Internetplattform geschaffen, auf der dazu eingeladen wird selbst Filme zu produzieren, die dort hochgeladen werden können.
Die Pilotfilme: Eine szenisch-anarchische Collage in und über Duisburg (»Dystopolie«), vielschichtige Konversationen bei einer Irrfahrt von Oberhausen nach Duisburg (»Gemeinsames Verfahren«), assoziatives Philosophieren über Kollektivität und das Ruhrgebiet auf einer Bahnfahrt nach Witten (»Das Kollektiv im Kopf«) und die graue Ästhetik der A40 (»Alleine Essen«).
Beim ersten Premierentag im rappelvollen Lokal Harmonie in Duisburg Ruhrort gab es begeisterten Applaus für »Dystopolie« – einer Koproduktion von Netzwerk X, der Initiative »DU erhältst Kultur« und Filmemacher Matthias Coers. Duisburger Aktivist*innen entwickelten dafür selbst Szenen, die ironisch-humorvoll von Irrsinn und Inkompetenz der Duisburger Politik erzählen: Eine lange Reihe gescheiterter Investorenprojekte (Shoppingcenter, Parkplätze für Shoppingcenter…), Abrisspläne für ein historisches Wohnviertel und das Abblocken jeglicher Initiative von unten. Deutlicher geht’s nicht: Es wid gemauert, gemauert und gemauert – ob mit Beton oder mit Ordnungsrecht, Ignoranz und Ratsbeschlüssen.
Der Gewerkschaftsaktivist Theo Steegmann hält als „Häuptling“ auf der Loveparade-Katastrophen-Brache eine epische Hassrede: „Du hörst immer: Da ist Potenzial, da ist Potenzial! Und was du dann siehst, ist Duisburg.“ Roland Günter – Kunsthistoriker und Pionier bei der Rettung von Arbeitersiedlungen – vergleicht Duisburg mit Dantes Hölle. Lakonisch cool trinkt eine Aktivistin im Brautkleid mit einem von Fällung bedrohten Baum an der Hafen-Baustelle ein Bier und sinniert darüber, warum da wohl für eine halbe Million eine nutzlose Treppe gebaut wurde. Und nebenbei wird im alternativen Stadtteilladen Syntopia das Duisburg-Monopoly »Dystopoly« gespielt, bei dem es nur Verlierer*innen zu geben scheint.
„Ein bisschen 80er Jahre Agitprop-mäßig“ sei der Film, sagt jemand aus dem Publikum. Ob das Absicht gewesen sei? „Uns war es nicht wichtig, dass es glatt wird“, antwortet Matthias Coers dazu. Und Netzwerk X-Aktivistin Sarah Bernd, die beim Film dabei war, sagt: „Jeder kam da mit seinem eigenen Bedürfnis rein: Darauf hab ich Bock, das möchte ich machen.“ „Dass es holtert und poltert, hat schon gepasst“, meint eine Frau aus dem Publikum. Und eine andere möchte den Film am Liebsten im Duisburger Stadtrat vorführen. Dann sagt Sarah, die an dem Abend auch ihren eigenen Film »Das Kollektiv im Kopf« präsentierte, noch etwas, das sicherlich für das gesamte Projekt stehen könnte: „Wir haben eine klare Kritik, aber wir sind trotzdem noch hier!“
Dableiben und weiterkämpfen also! Und die Filme selbst anschauen: www.dasgrauegegenteil.de
BILD: FILM-STILL AUS DEM KURZFILM »DYSTOPOLIE«, DUISBURG, 2018