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Recht auf Stadt: Zwischen Abwehrkämpfen, radikaler Realpolitik und Alternativen

Ein Bericht vom bundesweiten Recht auf Stadt Forum in Leipzig (von KRISZ und MTKR)

Die Recht auf Stadt-Bewegung wächst nicht nur, sie vernetzt sich auch immer besser: Beim 4. Recht auf Stadt Forum, das am 20.–22. April in Leipzig stattfand, waren mit 250 Teilnehmenden fünfmal soviele Aktivist*innen da wie beim ersten Treffen 2015. Organisiert wurde das Forum auch diesmal bundesweit von stadtpolitischen Initiativen gemeinsam mit verschiedenen Leipziger Gruppen. Viele hatten es nicht weit und radelten einfach aus verschiedenen Ecken Leipzigs an. Der überwiegende Teil aber kam aus anderen Städten: Zum Beispiel aus Berlin, Erfurt, Frankfurt, Göttingen, Hamburg, Jena, Kassel, Köln, Weimar… und aus dem Ruhrgebiet.

Die Ausgangsbedingungen und Probleme in den Städten sind recht unterschiedlich, es gibt aber gemeinsame Bezugspunkte, ähnliche Praxen und Auseinandersetzungen, die sich in den Schwerpunktthemen des Forums wiederspiegelten: Inputs, Berichte, Aus­tausch und Diskussion gab es zu Mietenpolitik, sozialer Infrastruktur, öffentlichem Raum und Kämpfen in der Stadt (mehr dazu weiter unten).

Zudem sollten feministischen Perspektiven auf Stadt stärker sichtbar werden. Beim Auftakt wurde beispielhaft an einigen Themen ausformuliert, was es heißt, Stadtraum mit Geschlechter- und Gewaltverhältnissen zusammenzudenken. Lange galt es als stadtplanerisch fortschrittlich „Angsträume“ mitzudenken. Aus einer feministischen Intervention in den 70er Jahren wurde allerdings ein Diskurs, der sexistische Verhältnisse sogar verschleiert und der Aufrüstung mit Überwachungstechnologie Vorschub leistete. Die Aktivist*innen, die beim Auftakt sprachen, forderten dagegen, den Blick stärker auf Street Harrasment zu richten – also auf die sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, die sich eben nicht immer nur in dunklen Unterführungen abspielt. Zum Thema wurde auch die Organisation von Sorgearbeit/Care gemacht: Da die öffentliche Daseinsvorsorge – Kitas, Krankenhäuser u.a. – vor allem in der Stadt organisiert wird, kann diese auch der Ort für alternative Ansätze sein: Care-Räte etwa, selbstverwaltete Polikliniken oder Gemeinschaftsräume, in denen Kochen, Kümmern, Sorgen nicht länger nur Privatsache sind.

Günstig ist vorbei: Rendite mit der Miete in Leipzig

Beim Recht auf Stadt Forum geht es neben dem städteübergreifenden Austausch automa­tisch immer auch um lokale Probleme und Kämpfe, schließlich ist man mittendrin. Und in Leipzig hieß das: Erstmal auf die Straße. 1000 Leute kamen zur Demo »Leipzig für alle«, die am Freitag durch die Innenstadt zog. Die Zeiten in denen Wohnraum reichlich und günstig verfügbar waren, neigen sich in Leipzig dem Ende zu. Verdrängungsprozesse werden immer rasanter. Die Stadt wächst jährlich um mehr als 10.000 Einwohner*innen, die Leerstandsquote hat inzwischen die kritischen 3% an verfügbarem Wohnraum erreicht. Die noch übrigen Leerstände werden oft zu hochpreisigen Wohnungen saniert, die Mieten steigen. Über durchschnittlich 6,85 € Kaltmiete (je nach Stadtteil deutlich mehr) mögen Metropolen-Bewohner*innen lachen, aber die Tendenz ist steigend: Seit 2004 sind die Mietpreise um 40% gestiegen, allein zwischen 2017 und 2018 um mehr als 7%.

Die Einkommensverhältnisse sind zudem schlecht: 25 Prozent der Leipziger*innen verdienen laut offiziellem Sozialbericht unter 1100 Euro, das durchschnittliche Nettoeinkommen betrug 2016 nicht einmal 1.300 €. Die Grundmiete, die für Hartz IV-Empfänger*innen gezahlt wird, liegt zudem bei nur 4,70 €, das betrifft immerhin 8,5 Prozent der Bewohner*innen. Entmietungen wegen Sanierung und Räumungsandrohungen werden zum wachsenden Problem. Betroffen sind auch viele selbstverwaltete kleine Kulturprojekte und Freiräume, die auch dank günstiger Mieten enstehen konnten.

Die Aufwertungsprozesse kann man gut im Osten der Stadt sehen, besonders rund um die Eisenbahnstraße, dort wo das Recht auf Stadt Forum in verschiedenen selbst verwalteten Räumen stattfand. Die Eisenbahnstraße gehört zu den Gegenden, die irgend­wann zum „gefährlichen Ort“ erklärt worden sind. Und auch wenn sich hier vielleicht Probleme, die es überall in Großstädten gibt, verdichten, ist der schlechte Ruf wohl auch darauf zurückzuführen, dass Migration als Angstfaktor konstruiert wird: Der Anteil an migrantischen Communities und die Dichte arabischer Läden, Imbisse und Restaurants ist in Sachsen nirgendwo so hoch wie hier. Gleichzeitig tummelt sich in dem Viertel das Nachtleben. Gerade bei Jüngeren ist der Osten beliebt. Die noch leerstehenden Häuser sind verkauft und zum Teil bereits für Eigentumswohnungen verplant. Bei einem Stadtrundgang erzählten Aktivist*innen, dass eine Brachfläche fast zum achtfachen des geschätzten Wertes als Spekulationsfläche verkauft wurde. Der Leipziger Osten verspricht Rendite.

Widerstand gegen große Wohnungsunternehmen und Alternativen

Die Rendite mit der Miete machen vor allem die großen Wohnungsunternehmen. Enorme Gewinnsteigerungen und Kapitalzuwächse lassen sie immer weiter wachsen. Die fünf größten Unternehmen, darunter Vonovia und die Deutsche Wohnen, besitzen insgesamt 800.000 Wohnungen. Ihre Unternehmenspolitik setzt auf Mietsteigerungen und Verdrängung durch Modernisierung.

Aber auch der Widerstand der Mieter*innen wächst. Und es gibt auch schon Ideen, wie alles anders laufen könnte. Im Workshop »Rekommunalisierung und dann?« stellten Aktivist*innen der Berliner Initiative Kotti & Co ihre Forderung nach einer Rekommunalisierung der Wohnungen am Kottbusser Tor vor. Die Initiative ist entstanden, nachdem es zunehmend Probleme mit der Eigentümerin, der Deutsche Wohnen, gab. Die Aktiengesellschaft besitzt 110.000 Wohnungen in Berlin. Die meisten Wohnungen waren vor dem Verkauf in Landesbesitz, viele wurden staatlich gefördert und unterliegen bis heute einer Sozialbindung. Mieter*innen beklagen seit Jahren mangelnde Instandhaltung, defekte Heizungen und teure Modernisierungen.

Die Diskussion um Rekommunalisierung wird in Berlin seit einiger Zeit verstärkt geführt. Der rot-rot-grüne Senat hat in einigen Fällen von seinem Vorkaufsrecht oder anderen Druckmitteln Gebrauch gemacht. Mehrere Häuser und Siedlungskomplexe wurden in den vergangenen Jahren (re)kommunalisiert.

Für die Mieter*innen bedeutet das aber nicht automatisch, dass alles gut wird. Die kommu­nalen Unternehmen sind sehr bürokratisch und ähneln in der Geschäftspolitik und Gewinnorientierung häufig privaten Unternehmen. Die Mieterinitiativen fordern deshalb eine stärkere Mitbestimmung durch die Bewohner*innen, etwa durch einen Mieter*in­nenrat, der bei Modernisierung und Instandhaltung Mitspracherecht hat.

Die Voraussetzung, um Forderungen zu stellen und Rechte durchzusetzen ist, wie das Beispiel Kotti & Co zeigt, sich als Mieter*innen zu organisieren. Darüber wurde beim Vernetzungstreffen »Organisieren gegen große Wohnungskonzerne« diskutiert. Viele ehemalige Sozialwohnungen mit prekärer Bewohnerschaft sind von Modernisierung und somit Verdrängung bedroht.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Otto-Suhr Siedlung in Berlin. Dort hatte die Deutsche Wohnen 2015 Modernisierungsmaßnahmen angekündigt. Die Mietpreise wären für viele Bewohner*innen dann nicht mehr bezahlbar. Mit Unterstützung der Interventionistischen Linken hat sich 2016 eine Mieterinitiative gegründet. Durch öffentliche Aktionen ist die Deutsche Wohnen unter Druck geraten, der Stadtbaurat mischte sich ein und inzwischen wurde eine Vereinbarung getroffen, die viele Mieter*innen vor Verdrängung schützt. Wichtig für diesen Erfolg waren solidarische Netzwerke in der Siedlung, aber auch die politische Unterstützung durch Aktivist*innen, die Erfahrung in Organisierungsprozessen mitbrachten. Das Bündnis der Deutsche Wohnen MieterInnen startet nun eine Kampagne, die mit einem Volksbegehren die Deutsche Wohnen enteignen und rekommunalisieren will.

Praktische Alternativen: Nischenprojekte oder Modelle für eine bessere Gesell­schaft?

Für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen heißt immer auch: Selber machen. Statt nur darauf zu warten, dass Stadt und Kommune eine gerechtere soziale Infrastruktur schaffen, bilden sich vielerorts Initiativen, die das selbst in die Hand nehmen. Im Workshop »Infra­struktur für alle« wurde an drei Projekten diskutiert, ob diese Praxen nur „Nischen“ schaffen oder auch gesellschaftlich etwas verändern können. Im Eingangsinput wurden Projekte, die Infrastruktur für alle schaffen wollen, als „Inseln im Meer des Kapitalismus“ beschrieben. Die Organisierung von sozialer Infrastruktur wurde dabei auch als Schaffung von Commons – also Gemeingütern – verstanden.

Vorgestellt wurde das Mietshäusersydikat, die Poliklinik Hamburg Veddel und das Leipziger Reudnetz.

Das Mietshäusersyndikat ist ein Solidarverbund aus momentan 128 Hausprojekten und 17 Projektinitiativen. Es berät und beteiligt sich an selbstorganisierte Hausprojekte, damit diese dem Immobilienmarkt entzogen werden, hilft mit bei der Projektfinanzierung und initiiert neue Projekte. Kern des Mietshäuersyndikats ist der Solidartransfer von Altprojekt zu Neuprojekt sowie der Ausschluss einer Reprivatisierung der Häuser.

Die Poliklinik Veddel ist ein interdisziplinäres Kollektiv aus Ärzt*innen, Psycholog*innen, Pflege- und Sozialarbeiter*innen und anderen, die ein Stadtteilgesundheitszentrum aufbauen. Dort sollen primäre Gesundheitsversorgung, psychologische Versorgung und Stadtteilarbeit miteinander verbunden werden. Die Auseinandersetzung damit, wie Lebensverhältnissen und Gesundheit miteinander zusammenhängen, ist ein zentrales Anliegen des Projekts. Deshalb wurde die Poliklinik auch bewusst in einem der ärmsten Stadtteile Hamburgs gegründet. Momentan ist das Projekt noch in Entwicklungsphase, es gibt eine allgemeinärztliche Praxis mit zwei Ärzt*innen sowie psychologische, soziale und kollektive Beratung.

Das Reudnetz ist ein alternativer Provider, der ehrenamtlich betrieben wird und kostenkünstige Internetanschlüsse in drei Leipziger Stadtteilen für derzeit 200 Menschen anbietet.

Aufgeworfen wurde zunächst die Frage, ob es nicht gerade darum gehen muss, Auseinan­dersetzungen um öffentliche Gemeingüter und Infrastruktur zu führen, wenn die Forderung nach einer »Stadt für alle« ernst genommen werden soll. Zum Beispiel sind Wohnprojekte doch eher Nischen: Wie verhält sich ein Projekt wie das Mietshäusersyndikat zur allgemeinen Forderung nach gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften? Und generell: Wie werden die Projekte dem gesellschaftsverändernden Anspruch gerecht? Was sind Strategien, um Forderungen nach öffentlicher Infrastruktur für alle zu verbreitern? Wo gibt es Verbindungen zu anderen Kämpfen? Diese Fragen wurde im Workshop diskutiert.

Beim Mietshäusersyndikat sehen sich die Aktiven in einem Zwiespalt: Das Modell funktio­niert auch innerhalb des bestehenen Systems, gleichzeitig mischen sich Viele auch in die Wohnungsfrage ein. Die öffentliche Anerkennung des Modells wird genutzt, um Druck auf politische Prozesse (z.B. bei Gesetzgebungen) auszuüben. Allerdings wird innerhalb des Mietshäusersyndikats auch thematisiert, ob die enormen Kapazitäten, die (ehrenamtlich) in die Organisation fließen nicht sinnvoller in Proteste gesteckt werden könnten.

Die Poliklinik Veddel will ein Gegenmodell zu üblichen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung sein. Genutzt wird dafür die gesetzliche Möglichkeit zur Gründung Medizinischer Versorgungszentren. Ärztliche Behandlungen werden über die Krankenkasse abgerechnet, alle weiteren Aktivitäten (Beratungen etc.) ehrenamtlich organisiert. Die Aktivist*innen sehen über die konkrete Stadtteilarbeit hinaus die Notwendigkeit einer gesellschaftspolitischen Vision und einer breiteren Bewegung, um „Gegenmacht zu entwickeln“. Konkret angedacht ist zum Beispiel ein Patient*innenrat. Zudem wäre es auch wichtig sich mit anderen Kämpfen zu verbinden, wie dem Hamburger Volksentscheid für mehr Personal in den Kliniken.

Am Ende blieb als Resumee, dass solche Projekte Ausgangs- und Kristallisationspunkt für Austausch, Vernetzung und weitergehende Forderungen sein können. Sie sind zudem wichtig, „weil sie positive Geschichten erzählen“ (ein Teilnehmer).

Einmischen – Mitmischen – Spielregeln ändern: Widersprüche von Realpolitik

Wie eine konkrete politische Auseinandersetzung um Wohnraum, öffentliche Flächen und sozialer Infrastruktur auf lokaler Ebene aussehen kann, wurde im Workshop »Zwischen utopischem Überschuss und Realpolitik« thematisiert. Wie kann Politik unter Handlungsdruck gesetzt werden, welche Rolle können Initiativen und Bündnisse in politischen Aushandlungsprozessen spielen? Wie können wir mehr werden? Dazu reflektierten Leipzig-Stadt für alle, Stadt für alle Bochum und Stadt von unten Berlin ihre Erfahrungen.

Das Netzwerk Stadt für alle Bochum hat sich nach Refugee-Protesten gegen die Massenunterkünfte und für würdigen Wohnraum gegründet. In Bochum wurde die Wohnungspolitik lange vernachlässigt. Ein wohnungspolitisches Konzept gab es bislang ebenso wenig wie eine Handhabe zur Nutzbarmachung der ca. 7.000 leerstehenden ungenutzen Wohnungen. Stadt für alle mischte sich in den Aushandlungsprozess eines städtischen Handlungskonzepts Wohnen ein und forderte unter anderem öffentlichkeitswirksam eine Leerstandssatzung (»Zweckentfremdungssatzung«), um Leerstände zu aktivieren. Im SPD-dominierten Stadtrat wurde die Forderung schließlich abgelehnt. Die Kampagne wird dennoch als Erfolg gewertet, weil es gelungen ist, das Thema in der Öffentlichkeit zu platzieren und weil die Politik Stadt für alle als Akteurin ernstnehmen musste: Die Spielregeln wurden so ein Stück weit verändert.

Leipzig – Stadt für alle hat sich 2012 aufgrund zunehmender Probleme mit Entmietungen gegründet. Zuletzt mischte sich das Netzwerk zusammen mit dem Haus- und Wagenrat e.V.  und einem Bündnis verschiedener Gruppen in den Verkauf von Wohnungen durch die städtische Wohnungsbaugesellschaft LWB ein. Forderungen waren unter anderem, dass Preissteigerungen beim Verkauf vermieden und nur komplette Häuser an Eigentumsformen in Mieter*innenselbstverwaltung verkauft werden. Die Forderungen wurde durch die Linken im Rat aufgegriffen und letztlich erfolgreich durchgebracht: Mieter*innen müssen vor Sanierung und Verkauf nun informiert werden. Dies hat aber auch widersprüchliche Effekte: Während sich in einem Haus Bewohner*innen für eine Mietshäusersyndikats-Lösung entschiedenen, gründeteten in einem anderen nur die wohlhabenden Mieter*innen eine Genossenschaft.

Stadt von unten Berlin ist gestartet mit dem Kampf um eine Fläche in Kreuzberg (»Dragoner-Areal«), die die der Bund verkaufen wollte. Ziele des Bündnisses sind: „Kommunale Entwicklung in Selbstverwaltung, 100% Mietwohnungen, 100% bezahlbar und zu 100% Teilhabe der Betroffenen”. Die Privatisierung der Fläche konnte verhindert werden, ein neues Beteiligungsverfahren wurde etabliert und das Thema des Bodenverkaufs durch den Bund wurde auf die Agenda gesetzt. Neue Koalitionen und Initiativen sind entstanden. Die Herausforderung besteht nun z.B. darin, für alle Beteiligten Transparenz darüber herzustellen, was an den Thementischen und bei Verhandlungen genau passiert: Dadurch dass ein Teil der ehrenamtlichen Aktivist*innen sich notwendigerweise Expert*innenwissen angeeignet hat, werden nämlich auch Ausschlüsse produziert. Hinzu kommt die Überforderung, was Zeitaufwand und Kompetenzen angeht, die der Beteiligungsprozess von unten erfordert.

Alle Aktivist*innen beschrieben ihre Erfahrungen mit „radikaler Realpolitik“ als widersprüchlich, bleiben aber optimistisch: Ein Aktiver von Leipzig – Stadt für alle ermutigte dazu, „keine Angst vor Rollenwechsel und ungewohntem Terrain“ zu haben.

Die Aktiven von Stadt für alle Bochum sehen eine Herausforderung darin, den „utopischen Überschuss“ zu bewahren – die Eigentumsfrage zu stellen und soziale Infrastruktur für alle zu fordern – sich in die Politik einzumischen, aber sich nicht deren Spielregeln zu unterwerfen. Für die Aktivistin von Stadt von unten Berlin ist dieser utopische Überschuss in den Auseinandersetzungen ohnehin präsent, weil das Bündnis immer Maximalforderungen stellte: „Unser Ziel ist es öffentliche Institutionen zu beeinflussen, keine Nischen zu schaffen.“

Haben „mittelgroße“ Städte andere Probleme als Metropolen?

Der Erfahrungsaustausch zwischen Aktivist*innen verschiedener Städte ist trotz der jeweils unterschiedlichen Ausgangsbedingungen gewinnbringend und weiterführend. Gleichzeitig bleibt manchmal das Gefühl der mangelnden Vergleichbarkeit. Ist die Größe der Stadt hier ein Faktor? Diese Frage wurde schon beim letzten Forum aufgeworfen, so enstand die Idee eines Vernetzungstreffens „mittelgroßer Städte“.

Beim diesjährigen Forum haben Recht auf Stadt Ruhr und die Gruppe PEKARI Jena den Versuch gestartet: Rund 30 Leute kamen zum Vernetzungstreffen. Gezeigt hat sich: Auch hier sind die Bedingungen nicht unbedingt vergleichbar. Nicht nur weil „mittelgroß“ Definitionssache ist (bei Einwohnerzahlen zwischen 65.000 und 500.000), sondern auch weil Stadtentwicklung, soziale Zusammensetzung und die Dynamik in den Städten unterschiedlich sind. Ähnliche Probleme gibt es aber beim Thema Wohnraum.

In der wachsenden Universitätsstadt Jena (110.000 Einwohner) ist die hohe Mietbelastungsquote ein großes Problem. In Bonn (322.000) sind die Mieten längst unbezahlbar, die Stadt ist durch konservatives wohlhabendes Bürgertum geprägt, was Bündnisse schwierig macht. In Göttingen (119.000) gab es in den letzten Jahren eine erfolgreiche Besetzung, die linke Szene ist groß, aber breitere Bündnisse über die „Nischen“ von Szene und Studi-Umfeld hinaus sind schwierig hinzubekommen. In Erfurt (211.000) boomt die Immobilienwirtschaft, vor allem Eigentumswohnungen werden gebaut – bei gleichzeitig niedrigem Einkommensniveau. In Weimar (65.000) gibt es so gut wie keinen Leerstand mehr und die Stadt wird zunehmend „festivalisiert“. Die Unterschiede kann man aber auch allein schon an den Ruhrgebietsstädten ablesen: Während in Bochum (370.000) immer mehr experimentelle Orte und Freiräume entstehen, werden in Duisburg (500.000) alle Versuche Freiräume zu etablieren von Politik und Verwaltung verhindert. In Bochum verschärft sich die Lage beim Wohnraum und Aufwertung verläuft schleichend. Probleme mit knappem Wohnraum gibt es in Duisburg dagegen bisher wenig, gleichzeitig werden Aufwertungsversuche hier „von oben“ vorangetrieben.

In allen Städten gibt es Initiativen, die Widerstand und Alternativen organisieren, fast im­mer besteht das Problem verschiedene gesellschaftliche Gruppen in einem Bündnis zusammenzubringen. Vor allem müssen die gleichen Aktivist*innen oft „auf verschiedenen Hochzeiten tanzen“, damit was passiert.

50 Jahre Recht auf Stadt…

Die Recht auf Stadt-Bewegung ist in Deutschland noch recht jung, aber dass es sowas wie ein Recht auf Stadt überhaupt geben kann, das hat ein Vordenker der Bewegung schon vor ein paar Jahrzehnten ausformuliert: 1968 erschien das Buch „La droit à la ville“ des Soziologen Henri Levebvre. Nach einer Analyse der massiven Probleme, die mit den Urbanisierungsprozessen enstehen, formulierte er als Gegenentwurf das Recht auf Stadt.

Beim Forum durfte zum 50-jährigen Jubiläum ein Workshop zur Aktualität von Levebvres Entwurf also nicht fehlen: Niels Boeing, der als Autor und Aktivist das Recht auf Stadt auch als utopische Vision weiterdenkt, stellte Levebvres Thesen (ein „Plädoyer für einen urbanen, libertären Kommunismus“) vor. Er reflektierte daran anschließend die Erfahrungen mit dem Hamburger Recht auf Stadt-Netzwerk, das 2009 ‚Recht auf Stadt‘ strategisch als „Framing“ für verschiedene Kämpfe in der Stadt setzte. Damit erreichten sie eine Diskursverschiebung, mit der erfolgreich Themen öffentlich auf die Agenda gesetzt wurden. Inzwischen hat sich die Hamburger SPD Begriffe aus dem Vokabelset widerständiger Forderungen angeeignet – die Inhalte selbstredend nicht.

…und kein Ende: Bis zum nächsten Jahr dann!

Das Recht auf Stadt Forum ist zu einem wichtigen Ort für Aktivist*innen geworden, um Kämpfe zu vernetzen und aufeinander zu beziehen und Austausch und Reflexion zu orga­nisieren. Beim ersten »Recht auf Stadt-Familienduell«, in der spontan zusammengewürfelte Familien wie in der 90er-Show gegeneinander antraten, wurde glücklicherweise auch schon die Frage geklärt, wo das Recht auf Stadt Forum im nächsten Jahr stattfindet. Jetzt schonmal ein fröhliches: Ahoi!

BILD: EISENBAHNSTRASSE, LEIPZIG, APRIL 2018 (RNRM)