Das Quartier Nordmarkt in der Dortmunder Nordstadt erlangte bundesweite Bekanntheit, weil sich hier soziale Probleme ballen wie sonst selten auf so engem Raum. Zugleich gibt es allerhand Akteure, die daran arbeiten, dass sich genau das ändert. Auch Immobilien und die Wohnungsfrage spielen dabei eine Rolle. Ein Besuch.
Eigentlich ist es fast immer laut hier. Die Mallinckrodtstraße ist die Hauptverkehrsader durch die nördliche Dortmunder Innenstadt, sie zieht sich von der Autobahn im Nordwesten bis fast zum Borsigplatz. Hier, an der Ecke zum Nordmarkt, ist sie in der Mitte zerteilt von hohen Bäumen. An den Rändern reiht sich Haus an Haus, mit vier, fünf Etagen, mal mit schlichten Fassaden, mal mit reich verzierten, Blumenmustern, Engelsfiguren. An der Straßenecke ist letztes Jahr das Ordnungsamt eingezogen, auf der anderen Straßenecke ein Kiosk, ein Gardinenladen, ein Café.
Seit dem Frühjahr ist die GrünBau gGmbH hier und setzt in einem ehemaligen „Problemhaus“ ein Wohn- und Beschäftigungsprojekt für Menschen aus Südosteuropa um. Rund 125 Menschen leben in dem Haus, 40 Erwachsene und mehr als 80 Kinder. Noch vor Monaten war das Haus überbelegt, die hygienischen Bedingungen schlecht, die Menschen zahlten ohne Verträge horrende Mieten. Obdachlose Drogenabhängige übernachteten in Treppenhäusern, Kellern, Dachböden. Dann kaufte die Stadt das Haus und beauftragte GrünBau mit der Betreuung. „Wir wollen den Menschen, die hier bleiben wollen, ermöglichen, dass sie hier wohnen und unter besseren Bedingungen leben“, erklärt Geschäftsführer Andreas Koch. Im Moment arbeitet GrünBau, gemeinsam mit den BewohnerInnen, an den grundlegenden Reparaturen, außerdem an Stromversorgung, Elektrik, Wasser. Im zweiten Schritt geht es um reguläre Mietverträge, Schulplätze für die Kinder, Arbeit, ein stabiles Einkommen. „Darum, dafür zu sorgen, dass sie sich selbst finanzieren können“, ergänzt Ute Lohde. In dem Büro, in dem vor ein paar Monaten noch ein Kiosk war, hilft das interkulturelle Team bei allen Fragen, die dabei auftauchen.
„In-Wert-Setzung“
Die Nordstadt bleibt ein angespannter Stadtteil. Und an der Ecke zwischen Mallinckrodtstraße, Schleswiger Straße und Nordmarkt konzentriert sich, was an ihm so schwierig ist: Armut, Ausbeutung, Drogen, Kriminalität. Das soll sich ändern, sagt die Stadt. Und investiert darum nicht nur in Ordnungspolitik, sondern auch in die Optik des Viertels.
Ein Kern ist die Aufwertung – oder „In-Wert-Setzung“ – von sogenannten Problemimmobilien. Gut 70 solcher Häuser galten im September als „verwahrlost“, problematisch oder standen leer, Ende letzten Jahres waren es etwa 80. Die Stadtverwaltung hat seit 2008 eine eigene Arbeitsgruppe „Problemhäuser“, Fördermittel aus Bund und Land und dem Stadterneuerungsprogramm Soziale Stadt unterstützen Eigentümer – private, Wohnungsgesellschaften und gemeinnützige Organisationen – dabei, zu modernisieren und Fassaden zu sanieren. Die ehemalige rot-grüne Landesregierung hat im Frühjahr ein Modellprojekt „zum Ankauf von Schrottimmobilien“ aufgelegt. Jeweils 250.000 Euro bekommen Dortmund und andere Städte, um Häuser zu kaufen, zu sanieren oder abzureißen. Dortmund setzt vor allem darauf, sie wieder nutzbar zu machen – und neuen Wohnraum zu schaffen.
Und der ist nötig: Der Wohnungsmarkt hat sich in den letzten Jahren drastisch angespannt. Der Leerstand ist rapide gesunken, eine Wohnung zu finden zunehmend schwieriger geworden. Das trifft vor allem Menschen mit wenig Geld. In der Nordstadt gibt es noch Wohnraum, meistens günstiger als anderswo in Dortmund.
„Das Ziel muss sein, die Häuser bewohnbar zu machen. Und zwar so, dass Menschen, die dort wohnen, es sich weiter leisten können“, sagt Andreas Gora, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt. Zwei ehemalige „Problemhäuser“ hat die AWO in der Schleswiger Straße gekauft und hergerichtet. Die Wohnungen, die hier entstanden sind, sind für Wohngemeinschaften gedacht und für Familien, im Erdgeschoss ist eine Kinderstube. An den neuen, blau und rot leuchtenden Fassaden hat der Dortmunder Künstler Gunter Rückert ein Stück Kunst im öffentlichen Raum geschaffen; an der einen krabbeln bunte Krokodile, Giraffen und Phantasietiere das Haus empor, von der anderen blicken, als Comiczeichnungen, die Edelweißpiraten auf die Straße hinab. Das Haus ist der einzige Ort in Dortmund, der im öffentlichen Raum an die jugendlichen Widerständler gegen die Nazis erinnert. Die Idee kam von den BewohnerInnen.
„Viertel lebt vom Widerstreit“
Die städtebauliche Aufwertung geht Hand in Hand mit ordnungspolitischen Maßnahmen, der zusätzlichen Zweigstelle des Ordnungsamtes am Nordmarkt, höherer Polizeipräsenz, mehr Kontrollen. Sie sollen das „Sicherheitsgefühl“ erhöhen, bei den Alteingesessenen, und den Neuen, Studierenden, KünstlerInnen, Kreativen.
Jan de Bondt ist täglich am Nordmarkt. Zwei Häuser hat seine Frau hier gekauft, erbaut Anfang des 20. Jahrhunderts, Bordüren aus steinernen Blumen zieren die Fassade. Eines der Häuser leuchtet neu verputzt in Weiß, das zweite soll bald folgen. Im Erdgeschoss ist eine Kindertagesstätte, im Rest des Hauses wohnen vor allem Studierende in den neuen Wohnungen, die vorher lange leer gestanden hatten. Auch er bemerkt, dass sich etwas verändert, neue Leute ins Viertel ziehen, Studierende, Familien mit kleinen Kindern. „Ja, es gibt hier immer noch viel Kriminalität. Aber ich sehe auch den Willen der Stadt, die negativen Entwicklungen entgegen treten will. Und ich sehe Jungakademiker, die keine Berührungsängste haben, in die Nordstadt zu gehen, sondern hier ihre Studienzeit verbringen wollen. Das ist doch etwas Positives – der Stadtteil lebt ja vom Widerstreit der Einzelinteressen, von den Spannungen der Bewohner, der Alteingesessenen, der Zugewanderten, und auch der Yuppies.“
„Dumm, nicht zu investieren“
Der Nordmarkt im Aufbruch? Das wird noch dauern. Doch es verändert sich etwas. „Die Situation hier hat sich schon ein bisschen beruhigt“, weiß GrünBau-Chef Andreas Koch von der Mallinckrodtstraße. Der Straßenabschnitt, an dem sich frühmorgens Männer sammelten, um als Tagelöhner auf Baustellen auszuhelfen, ist leerer geworden. Die Drogenhändler sind von der Ecke ein paar Meter weiter in die Schleswiger Straße gezogen. „Aber“, sagt GrünBau-Mitarbeiter Hassan Adzaj, „das hat erstmal nicht direkt damit zu tun, dass wir da sind, sondern dass die Läden, in denen sie sich versorgt haben, nicht mehr hier sind.“
AWO-Chef Andreas Gora ist skeptisch. „Wir nehmen Problemhäuser vom Markt“, sagt er, „aber die Strukturen sind noch da, wenn auch woanders. Es gibt Menschen, die ein Haus kaufen, aber nicht bezahlen. Bis es wieder in die Zwangsversteigerung geht, vermieten sie es weiter als Matratzenlager und verdienen Geld mit Ausbeutung. Andere bieten Neuzuwanderern Beratungsleistungen an, die sie sich teuer bezahlen lassen. Denen muss man das Geschäft kaputt machen.“ Da sieht er auch die Stadt in der Pflicht – mit kostenlosen Angeboten, besserem Zugang zu Wohnraum, aber auch Kontrollen. „Wir wollten und wollen am Stadtteil arbeiten, denn es ist ein besonderer Stadtteil, der Ideen, Maßnahmen, Investitionen braucht“, so Andreas Gora. „Und es wäre dumm, die Zeit nicht zu nutzen und nicht in die Nordstadt zu investieren. Aber es gibt noch unendlich viel zu tun.“
Mit freundlicher Genehmigung des Straßenmagazins bodo. Dieser Text von ALEXANDRA GEHRHARDT erschien dort in der Ausgabe 11/2017.
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